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Das Rote Kornfeld

Das Rote Kornfeld

Titel: Das Rote Kornfeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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mit schleppendem Gang der Sänfte, streckte die Hand aus und zwickte Großmutter in den Fuß. Ein leichtes Lächeln fuhr über ihr Gesicht, und der Mann zog die Hand zurück, als habe er sich verbrannt.
    «Steig aus und komm mit!» befahl er.
    Großmutter saß unbeweglich da. Das Lächeln erstarrte in ihrem Gesicht.
    «Steig aus!»
    Sie erhob sich von ihrem Sitz, trat mit majestätischer Geste auf die Tragestange und landete in einem Büschel Feldblumen. Ihr Blick schweifte von dem Mann, der Handkuchen aß, zu den Trägern und Musikern.
    «Ins Hirsefeld! » sagte der Wegelagerer, und seine Hand ruhte noch immer auf dem rot verhüllten Gegenstand in seinem Gürtel.
    Großmutter stand ruhig und voll Selbstvertrauen da, und ein Blitzschlag hoch oben in den Wolken ließ ihr strahlendes Lächeln in Millionen von umherwirbelnden Scherben zerspringen.
    Der Wegelagerer versuchte, Großmutter ins Hirsefeld zu zerren. Seine Hand löste sich keinen Augenblick von dem Gegenstand in seinem Gürtel. Großmutter sah Yu Zhan’ao mit fieberndem Blick an.
    Mit entschlossener Miene und verzogenen Mundwinkeln trat Yu Zhan’ao auf den Straßenräuber zu.
    «Bleib stehen», befahl der Räuber mit schwacher Stimme.
    «Wenn du einen Schritt weitergehst, schieße ich.» Seine Hand ruhte auf dem rot verhüllten Gegenstand in seinem Gürtel.
    Ruhig ging Yu Zhan’ao auf den Mann zu, der ein paar Schritte zurückwich. Grünes Feuer schien seinen Augen zu entströmen, kristallklare Schweißperlen standen auf seinem erschreckten Gesicht. Als sich Yu Zhan’ao ihm auf drei Schritt genähert hatte, entrang sich seinem Mund ein beschämter Schreckenslaut. Er wandte sich um und lief davon. Wie ein Blitz war Yu Zhan’ao hinter ihm her und trat ihm geschickt in den Hintern. Auf seinem Flug durch die Luft schwamm er wie ein unschuldiger Säugling, mit Armen und Beinen um sich schlagend, über das Meer von wilden Blumen und landete schließlich im Hirsefeld.
    «Verschont mich, meine Herren! Ich habe eine achtzigjährige Mutter, und einen anderen Beruf habe ich nicht.» Yu Zhan’ao stand bedrohlich über ihm, und der Straßenräuber versuchte, sich zu verteidigen. Yu packte ihn am Kragen, schleppte ihn zurück zur Sänfte, warf ihn dort zu Boden und trat ihn in den geschwätzigen Mund. Der Mann schrie vor Schmerzen; der halbe Schrei sprang ihm aus dem Mund, die andere Hälfte schluckte er hinunter. Seine Nase blutete.
    Yu Zhan’ao beugte sich vor, nahm den Gegenstand aus dem Gürtel des Räubers und streifte die rote Stoffhülle ab. Sie gab einen runzligen Astknoten frei. Die Männer schnappten erstaunt nach Luft.
    Der Mann lag auf den Knien, schlug die Stirn auf den Boden und flehte um sein Leben. «Jeder Straßenräuber behauptet, er habe zu Hause eine achtzigjährige Mutter»», sagte Yu Zhan’ao und trat beiseite. Er blickte die Träger und Musiker an wie der Anführer einer Meute, der sich ein Urteil über die restlichen Hunde bilden will.
    Fluchend und schreiend stürzten sich die Träger und Musiker auf den Wegelagerer und griffen ihn mit Füßen und Fäusten an. Dem ersten Ansturm antworteten Schmerzensschreie und schrille Klagen, aber bald ließen sie nach. Großmutter stand am Straßenrand und lauschte dem dumpfen Aufprall von Fäusten und Füßen auf menschliches Fleisch. Sie warf Yu Zhan’ao einen Blick zu und sah dann auf zum blitzdurchwühlten Himmel. Auf ihrem Gesicht lag noch immer wie angefroren ein strahlendes, goldenes, edles Lächeln.
    Einer der Musiker hob seine Trompete und schlug sie dem Räuber hart auf den Schädel. Die gebogene Kante fraß sich so tief in den Kopf ein, dass er sie nur mühsam wieder herausziehen konnte. Glucksende Geräusche kamen aus dem Magen des Räubers, und sein verkrampfter Körper bewegte sich nicht mehr. Er lag mit ausgestreckten Armen auf dem Boden, und aus dem tiefen Riss in seinem Schädel quoll langsam eine weißlichgelbe Flüssigkeit.
    «Ist er tot?» fragte der Musiker, der das verbogene Mundstück seiner Trompete untersuchte.
    «Der Armleuchter ist hin. Besonders gewehrt hat er sich ja nicht.»
    Der trübe Gesichtsausdruck der Träger und Musiker sprach von ihren Befürchtungen.
    Yu Zhan’ao sah wortlos erst den Toten, dann die Lebenden an. Er riss eine Handvoll Hirseblätter aus und wischte den Schmutz auf, den Großmutter in der Sänfte hinterlassen hatte, dann hielt er das Holzstück in die Höhe, wickelte es wieder in das rote Tuch und warf es so weit fort, wie er konnte. Der Astknoten

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