Das Rote Kornfeld
Zackig schlugen zwei Reihen Soldaten die Hacken zusammen.
Adjutant Ren kommandierte: «Ach ...tung! Beine gerade, Bauch einziehen, Brust raus, Augen geradeaus, wie ein Panther vor dem Sprung.»
Er trat Wang Wenyi vor das Schienbein. «Wie zum Teufel stehst du da? Du spreizt die Beine wie ein pissendes Maultier. Ich würde dich prügeln, bis du gerade stehst, wenn das ginge.»
Lingzi mochte es, wenn Adjutant Ren die Leute herumkommandierte, und sie mochte die Art, wie er sie beschimpfte. Sein Imponiergehabe wirkte berauschend auf sie. Wenn er sonst nichts zu tun hatte, stolzierte er meist auf dem Exerzierplatz auf und ab, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Dann kletterte Lingzi auf die Mauer, um den Anblick zu genießen.
«Wie heißt du?» fragte Adjutant Ren.
«Lingzi.»
«Wen beobachtest du denn von dahinten?»
«Dich.»
«Kannst du lesen?»
«Nein.»
«Willst du zur Armee?»
«Nein.»
«Ach so .»
Lingzi bereute ihre Antwort, und sie erzählte meinem Vater, das nächste Mal würde sie ja sagen. Aber Adjutant Ren fragte sie nie wieder, ob sie zur Armee wolle.
Lingzi und mein Vater machten es sich auf der Mauer bequem und sahen zu, wie Adjutant Ren seinen Männern Revolutionslieder beibrachte. Damals war Vater noch so klein, dass er auf einen Steinhaufen klettern musste, um zu sehen, was auf der anderen Seite der Mauer vor sich ging. Lingzi stützte ihr liebliches Gesicht auf die Mauer und starrte auf Adjutant Rens von Morgensonne umflutetes Gesicht, während er ihnen ein Lied beibrachte:
«Die Hirse ist,
Die Hirse ist rot.
Der Japaner kommt,
Der Japaner kommt.
Das Vaterland ist verloren,
Die Familien sind zerstreut.
Landsleute, erhebt euch,
Greift zu den Waffen.
Vertreibt die Japaner,
Beschützt eure Heimat ...»
Die Bauern mit ihren Blechohren und Holzzungen lernten nie anständig singen, aber die Kinder hinter der Mauer konnten das Lied bald auswendig. Mein Vater hat es nie vergessen.
Eines Tages nahm Lingzi all ihren Mut zusammen und machte sich auf die Suche nach Adjutant Ren. Versehentlich geriet sie in die Stube des Quartiermeisters. Yu Daya war ein vierzigjähriger Säufer, gefräßig und ein Hurenbock, außerdem ein Onkel von Kommandant Yu. Er war damals ziemlich betrunken, und als Lingzi in sein Zimmer stürzte, war es, wie wenn sich eine Motte ins Feuer stürzt oder ein Lamm in die Höhle des Tigers marschiert.
Adjutant Ren befahl zwei Soldaten, den Mann zu fesseln, der das Mädchen Lingzi entjungfert hatte.
Damals hielt sich Kommandant Yu in unserem Haus auf, und als Adjutant Ren ihn suchte, um Bericht zu erstatten, lag er auf dem gemauerten Bett meiner Großmutter und schlief. Sie hatte sich schon gewaschen und die Haare gekämmt und war dabei, ein paar kleine Fische zum Wein zu braten. Adjutant Ren stürzte wutschnaubend ins Zimmer und erschreckte sie fast zu Tode.
«Wo ist der Kommandant?» fragte Adjutant Ren.
«Er liegt auf dem Bett und schläft.» «Weck ihn!»
Großmutter weckte Kommandant Yu. Der kam verschlafen aus dem Zimmer, reckte sich, gähnte und fragte: «Was gibt’s?»
«Kommandant, wenn ein Japaner meine Schwester vergewaltigt hätte, sollte man ihn dann erschießen?»
«Natürlich», antwortete Kommandant Yu.
«Kommandant, wenn ein Chinese meine Schwester vergewaltigt hätte, sollte man ihn dann erschießen?»
«Natürlich.»
«Gut, Kommandant. Das wollte ich nur hören», sagte Adjutant Ren. «Yu Daya hat das Mädchen Cao Lingzi aus dem Dorf entjungfert, und ich habe Befehl gegeben, ihn in Fesseln zu legen.»
«Bist du sicher?»
«Wann wird er erschossen, Kommandant?»
Kommandant Yu ließ den Atem über die Lippen streichen. «Seit wann ist es ein schweres Verbrechen, mit einer Frau zu schlafen?»
«Kommandant, niemand steht über dem Gesetz ! Nicht einmal ein König.»
«Und was hältst du für die angemessene Strafe?» fragte Kommandant Yu.
«Erschießen», antwortete Adjutant Ren, ohne zu zögern.
Kommandant Yu ließ wieder den Atem über die Lippen streichen und begann in wachsendem Zorn auf und ab zu laufen. Schließlich lächelte er und sagte: «Adjutant Ren, was hältst du davon, wenn wir ihm fünfzig Peitschenhiebe vor versammelter Mannschaft verpassen und Lingzis Familie mit zwanzig Silberdollar entschädigen?»
«Weil er dein Onkel ist?» fragte Adjutant Ren sarkastisch.
«Also achtzig Peitschenhiebe, und er muss Lingzi heiraten. Ich bin sogar bereit, Tantchen zu ihr zu sagen.»
Adjutant Ren öffnete seinen
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