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Das Rote Kornfeld

Das Rote Kornfeld

Titel: Das Rote Kornfeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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Gürtel und warf ihn mitsamt dem Browning Kommandant Yu zu. Er hob die Hand zum militärischen Gruß und sagte: «So ist es einfacher für uns beide.» Dann drehte er sich auf dem Absatz um und marschierte hinaus auf den Hof.
    Die Pistole in der Hand, starrte Kommandant Yu auf den Rücken des Adjutanten, der sich entfernte, und knurrte zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor: «Hau doch ab! Seit wann kann ein verdammter kleiner Junge wie du mir erzählen, was ich zu tun habe! In den zehn Jahren, die ich in den Feldern gelebt und Handkuchen gegessen habe, hat sich noch keiner so etwas erlaubt.»
    «Zhan’ao», sagte Großmutter, «du kannst Adjutant Ren nicht gehen lassen. Soldaten kann man immer finden, aber einen General kann man nicht mit Gold aufwiegen.»
    «Davon verstehen Frauen nichts», sagte Kommandant Yu verärgert.
    «Und ich habe dich immer für einen harten Mann, nicht für einen Schwächling ohne Rückgrat gehalten», sagte sie.
    Kommandant Yu richtete die Pistole auf sie. «Bist du lebensmüde?» zischte er.
    Großmutter riss sich die Bluse auf und zeigte zwei zarte Fleischhügel. «Also los, schieß doch», forderte sie ihn heraus.
    «Mama!» brüllte Vater und verbarg seinen Kopf zwischen ihren Brüsten.
    Beim Anblick von Vaters glattem rundem Kopf und Großmutters schönem Gesicht übermannte Großvater eine Flut von Erinnerungen. Seufzend ließ er die Pistole sinken. «Mach deine Bluse zu », sagte er und schritt, die Reitgerte in der Hand, aus dem Haus. Er band sein schlankes braunes Pferd los und ritt ohne Sattel zum Exerzierplatz.
    Als die Soldaten, die an der Mauer herumlungerten, Kommandant Yu heranreiten sahen, sprangen sie auf und nahmen Haltung an.
    Yu Daya war mit auf den Rücken gefesselten Händen an einen Baum gebunden.
    Kommandant Yu stieg vom Pferd und ging auf Yu Daya zu. «Hast du es wirklich getan?»
    «Zhan’ao», sagte der, «binde mich los! Ich verschwinde.»
    Die Soldaten starrten Kommandant Yu mit aufgerissenen Augen an.
    «Onkel», sagte er, «ich werde dich erschießen lassen.»
    «Du Schweinehund!» brüllte Yu Daya. «Du willst deinen eigenen Onkel erschießen lassen? Hast du vergessen, was ich alles für dich getan habe? Als dein Vater gestorben ist, habe ich für deine Mutter und dich gesorgt. Ohne mich wärst du schon lange Hundefutter.»
    Kommandant Yu schlug ihm die Reitgerte ins Gesicht. «Du verdammtes Schwein!» beschimpfte er ihn, und dann fiel er auf die Knie und weinte: «Onkel Daya, ich werde deine Güte nie vergessen. Du, der mich großgezogen hat. Nach deinem Tod werde ich Trauerkleidung tragen und die Totengebete für dich sprechen und an den Feiertagen dein Grab pflegen.»
    Damit sprang er auf, bestieg sein Pferd, versetzte ihm einen Peitschenhieb in die Flanke und galoppierte hinter Adjutant Ren her. Die Erde erbebte unter dem Hufschlag seines Pferdes.
    Vater war dabei, als Yu Daya erschossen wurde. Der Stumme und zwei weitere Soldaten schleppten ihn an die westliche Dorfmauer. Die Hinrichtungsstätte lag an einer halbmondförmigen Bucht mit brackigem schwarzem Wasser, über dem sich Insekten tummelten. Am Ufer stand eine einsame Weide mit gelben abgestorbenen Blättern. Umherhüpfende Kröten störten die Stille des toten Wassers. Neben einem Haufen feuchter Haare lag ein einsamer zerschlissener Frauenschuh.
    Die Soldaten zerrten Yu Daya ans Ufer der Bucht und ließen ihn dort stehen. Dann richteten sie den Blick auf den Stummen, der das Gewehr von der Schulter nahm und den Hahn spannte. Eine Kugel fiel in die Kammer.
    Yu Daya wandte sich zu dem Stummen um und lächelte. Vater empfand es als ein freundliches, herzliches Lächeln. Es glich den elenden letzten Strahlen der untergehenden Sonne.
    «Löse meine Fesseln, stummer Bruder. Es ist nicht richtig, dass ich gefesselt sterbe.»
    Der Stumme dachte einen Moment lang nach, dann trat er mit dem Gewehr in der Hand auf ihn zu, nahm das Messer aus dem Gürtel und durchtrennte mit geschicktem Schnitt die Seile. Yu Daya rieb sich die Arme, machte eine Vierteldrehung und rief: «Schieß, Bruder! Ziel auf meine Schläfe! Lass mich nicht unnötig leiden!»
    Vater fand, jeder, der dem Tod ins Auge sah, habe die Achtung der anderen verdient. Schließlich war Yu Daya ein Kind der Gemeinde Nordost-Gaomi. Zwar hatte er ein schweres Verbrechen begangen, das selbst der Tod nicht sühnen konnte, aber als er sich auf den Tod vorbereitete, gebärdete er sich wie ein richtiger Held. Vater war so gerührt, dass er einen

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