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Das Rote Kornfeld

Das Rote Kornfeld

Titel: Das Rote Kornfeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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Luftsprung machen wollte.
    Yu Daya blickte auf das Brackwasser, in dem ein paar grüne Lotosblätter und eine einsame weiße Blüte trieben. Dann fiel sein Blick auf die glitzernden Hirsehalme am andern Ufer. Mit lauter Stimme begann er zu singen: «Die Hirse ist rot, die Hirse ist rot. Der Japaner kommt, der Japaner kommt. Das Vaterland ist verloren, die Familien sind zerstreut ...»
    Der Stumme legte das Gewehr an, dann ließ er es sinken, legte erneut an und ließ es wieder sinken.
    «Stummer», baten die Soldaten, «leg ein gutes Wort bei Kommandant Yu ein und lass ihn laufen!»
    Die Hände um das Gewehr geklammert, hörte der Stumme den falschen Tönen zu, mit denen Yu das Lied vergewaltigte.
    Die Augen von Zorn geweitet, drehte sich Yu Daya um und brüllte : «Los, Bruder, schieß ! Oder soll ich es vielleicht selber tun?»
    Zum letzten Mal hob der Stumme das Gewehr, zielte auf Yu Dayas flache Stirn und drückte ab.
    Noch bevor der dumpfe Knall des Schusses an sein Ohr drang, sah Vater, wie Yu Dayas Stirn in kleine Stücke sprang. Der Stumme stand mit gesenktem Kopf da. Das Echo des Schusses hing hoch in der Luft, weiße Rauchfäden stiegen vom Lauf seines Gewehrs auf. Der Körper Yu Dayas erstarrte für einen Augenblick, bevor er wie ein gefällter Baum ins Wasser stürzte.
    Der Stumme und seine beiden Gefährten verließen den Ort der Hinrichtung. Er schleifte das Gewehr hinter sich her.
    Vater und noch ein paar Kinder schlichen ängstlich an die Bucht und starrten auf Yu Daya, der mit dem Gesicht nach oben im Wasser lag. Von seinem Gesicht war nur noch der wohlgeformte Mund zu erkennen. Aus der zerrissenen Kopfhaut war das flüssige Gehirn in die Ohren gelaufen. Ein Augapfel hing wie eine große Beere neben dem Ohr aus der Augenhöhle. Im Fall hatte sein Körper den weichen Schlamm aufgewirbelt. Mit gebrochenem Stängel lag die weiße Lotosblüte neben seiner Hand. Vater konnte den Duft der Blume riechen.
    Als alles vorüber war, brachte Adjutant Ren einen dick lackierten Sarg aus Zypressenholz mit gelbem Seidenfutter. Er legte den. sorgfältig gekleideten Leichnam in den Sarg, und nach einer angemessenen Zeremonie wurde Yu Daya unter dem kleinen Weidenbaum begraben. Zur Beerdigung trug Adjutant Ren seine sauber geputzte schwarze Uniform. Sein Haar war sorgfältig gekämmt. Am rechten Ärmel trug er ein Armband aus roter Seide. Kommandant Yu trug Trauerkleidung aus Hanf und weinte laut. Als sie das Dorf verließen, schmetterte er mit aller Kraft eine Tonschale gegen einen Ziegelstein.
    An jenem Tag nähte Großmutter einen weißen Traueranzug für Vater. Sie selbst trug traditionelle Hanfkleidung. Vater, der hinter Großmutter und Kommandant Yu ging, trug eine frisch geschnittene Weidenrute in der Hand. Er sah zu, wie die Tonschale an dem Ziegelstein zerbrach. Er sah die Scherben durch die Luft fliegen, und sie erinnerten ihn an Yu Dayas zerschmetterten Schädel. Er ahnte dunkel, dass die beiden Ereignisse auf undurchsichtige Weise etwas miteinander zu tun hatten. Das Zusammentreffen eines Ereignisses mit einem zweiten führt unausweichlich zu einem dritten.
    Vater sah den Trauernden tränenlos und ungerührt zu. Der Trauerzug bildete einen Kreis um die Weide, dann ließen sechzehn starke junge Männer den schweren Sarg an acht dicken Seilen langsam in das offene Grab hinab. Kommandant Yu nahm eine Handvoll Erde und warf sie auf den glänzenden Sargdeckel Der dumpfe Klang drang allen ins Herz. Die Männer begannen, schwarze Erde in das Grab zu schaufeln, und der Sarg schrie zornig auf, als die Erde ihn bedeckte, höher und höher stieg, das Grab füllte und schließlich einen Hügel über dem Grab bildete, wie aufquellender Teig, wenn man Hefeklöße dämpft. Kommandant Yu zog die Pistole und feuerte drei Schüsse in die Luft über der Weide. Die Kugeln flogen eine nach der anderen durch die Baumkrone und rissen gelbe Blätter ab, die wie zarte Augenbrauen in der Luft schwebten. Drei glänzende Patronenhülsen fielen in das schmutzige Wasser. Ein kleiner Junge sprang hinterher, stapfte mit nackten Füßen durch den grünen Schlamm und sammelte die Hülsen ein. Adjutant Ren zog seinen Browning und schoss dreimal in die Luft. Die Kugeln strichen mit schrillem Hahnenschrei über die Hirse. Die rauchenden Pistolen in der Hand, standen sich Kommandant Yu und Adjutant Ren gegenüber. Adjutant Ren nickte: «Er war ein guter Kämpfer.» Er steckte die Pistole in den Gürtel und ging mit gemessenem Schritt ins Dorf

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