Das Rote Kornfeld
löste sich im Flug aus dem Tuch, das zu Boden flatterte wie ein großer roter Schmetterling.
Yu Zhan’ao hob Großmutter in die Sänfte. «Es fängt an zu regnen», sagte er, «gehen wir.»
Großmutter riss den Vorhang der Sänfte ab und stopfte ihn hinter den Sitz. Sie atmete die frische Luft ein und betrachtete Yu Zhan’aos breite Schultern und seine schmale Taille. Er war ihr so nah, dass sie ihr Bein hätte ausstrecken können und seine straffe, helle rasierte Kopfhaut berühren.
Der Wind wurde stärker, und die Hirsehalme neigten sich in immer tieferen Wogen. Die Pflanzen am Straßenrand verneigten sich, um Großmutter ihre Ehrerbietung zu bezeugen. Die Träger eilten über die Straße, doch die Sänfte war so ruhig wie ein Boot, das über weiße Gischtkronen gleitet. Frösche und Kröten entboten dem heraufziehenden Sommergewitter ihr Willkommen.
Der niedrig gespannte Vorhang des Himmels umhüllte dunkel die silbernen Gesichter der Hirse, über denen sich blutrote Blitze entluden und ohrenbetäubende Donnerschläge nach sich zogen. In wachsender Erregung starrte Großmutter furchtlos gebannt auf die grünen Wellen, die der schwarze Wind vor sich hertrug. Der Donner wirbelte um sie wie ein Mühlstein, die Windrichtung wechselte ständig und zwang die Hirse nach links und rechts, bis alles im Chaos verschwamm.
Die ersten Regentropfen ließen die Pflanzen beim Aufprall erzittern. Das Unkraut bebte vor Angst, der Staub ballte sich zusammen und wurde wieder in die Luft zerstreut. Der Regen hämmerte seinen harten Rhythmus auf die Sänfte und fiel auf Großmutters bestickte Pantoffeln. Er fiel auf Yu Zhan’aos Kopf und sprühte von dort in Großmutters Gesicht.
Yu Zhan’ao und die anderen Sänftenträger rannten wie aufgescheuchte Kaninchen, aber sie konnten der vormittäglichen Sintflut nicht entgehen. Der wilde Ansturm des Regens zermalmte die Hirse. Kröten suchten Zuflucht unter den Pflanzen und bliesen verwirrt ihre weißen Backentaschen auf. Füchse versteckten sich in ihren dunklen Bauten und sahen zu, wie kleine Wassertropfen von den Hirsehalmen fielen. Die Straße wurde schnell zum Sumpf, zertrampelte Kräuter klebten am Boden, und ernsthafte Feldblumen hoben die durchnässten Häupter hoch in den Himmel. Die weiten schwarzen Hosen der Sänftenträger klebten an der Haut und ließen sie elegant und graziös erscheinen. Das Regenwasser wusch Yu Zhan’aos Kopf so sauber, dass er glänzte wie der junge Mond. Auch Großmutters Kleiderwaren durchnässt. Sie hätte sich mit dem Sänftenvorhang bedecken können, aber sie tat es nicht. Sie wollte es nicht, weil ihr die offene Vorderseite der Sänfte einen Blick auf die Außenwelt in all ihrem Aufruhr und ihrer Wirrnis gestattete.
6
Mühsam bahnte Vater sich einen Weg durch die Hirse. So schnell ihn die Beine trugen, machte er sich auf den Weg nach Nordwesten, zum Dorf. Dachse mit fußähnlichen Pfoten kreuzten schwerfällig die Wassergräben, aber er beachtete sie nicht weiter. Als er endlich die Straße erreicht hatte und keine Angst mehr haben musste, sich in den Hirsepflanzen zu verstricken, fing er an zu rennen wie ein aufgescheuchtes Kaninchen. Das Gewicht des Browning ließ seinen roten Baumwollgürtel durchhängen wie eine Mondsichel. Die Pistole schlug schmerzhaft gegen seine Hüfte, aber das Gefühl von Betäubung, das sich allmählich einstellte, erschien ihm männlich: Er war stark und unbesiegbar. In der Ferne konnte er das Dorf sehen. Der düstere welke Ginkgobaum, der schon seit einem Jahrhundert den Eingang zum Dorf bewachte, entbot ihm seinen trübsinnigen Gruß. Im Laufen zog er die Pistole aus dem Gürtel und zielte auf die Vögel, die am Himmel über ihm ihre anmutigen Schleifen zogen.
Die Straße war verlassen, nur ein lahmer blinder Esel war an der zerfallenden Mauer festgemacht. Bewegungslos und mit hängendem Kopf stand er da. Eine einsame Krähe mit nassem dunkelblauem Gefieder saß auf einer Steinwalze. Die Dorfbewohner hatten sich im Hof der Brennerei versammelt, der einst mit rotem Kies gepflastert war und wo die angekaufte Hirse gelagert wurde. Damals torkelte Großmutter, einen weißen Fliegenwedel aus Pferdehaar in der Hand, oft unsicher auf ihren winzigen Füßen herbei, um die betrunkenen Hilfsarbeiter zu beaufsichtigen, die mit hölzernen Schöpfbechern die Hirse abmaßen. Ihr Gesicht leuchtete dann wie der strahlende Morgen. Diesmal blickten die Leute gespannt nach Südwesten und warteten auf das Geräusch
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