Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Rote Kornfeld

Das Rote Kornfeld

Titel: Das Rote Kornfeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
Vom Netzwerk:
Bucht.
    Der Mann blickte meiner Großmutter gerade ins Gesicht. Sie erwiderte den Blick.
    «Hat Shan Bianlang mit dir geschlafen?» fragte der Mann.
    «Er hat mit mir geschlafen», sagte Großmutter.
    «Scheiße!» fluchte der Mann, wandte sich um und verschwand wieder im Hirsefeld.
    Onkel Luohan war von alldem so verwirrt, dass er nicht mehr wusste, was hinten und was vorne war.
    Die Leichen seines alten Herrn und des Sohnes waren jetzt vollständig von Krähen bedeckt. Ein paar davon hackten ihnen mit harten schwarzen Schnäbeln die Augen aus.
    Onkel Luohan versuchte, sich an alles zu erinnern, was geschehen war, seit er auf dem Marktplatz von Gaomi seine Anzeige vorgebracht hatte.
    Richter Cao hatte ihn in das Amtsgebäude geführt. Dort hatte er in der Haupthalle Kerzen angezündet und sich mit ihm über dies und jenes unterhalten. Dabei hatten sie grünen Rettich gegessen. Früh am nächsten Morgen war Onkel Luohan auf seinem schwarzen Maultier in die Gemeinde Nordost-Gaomi geritten. Ihm folgten der Richter auf seinem schwarzen Hengst, der kleine Yan und etwa zwanzig Soldaten. Sie erreichten das Dorf gegen zehn Uhr. Nach einer kurzen Inspektion lud der Bezirksrichter den Dorfvorsteher Shan Wuhou vor und befahl ihm, die Dorfbewohner zusammenzurufen und die Leichen aus dem Wasser zu holen.
    Das Wasser in der Bucht glänzte wie Chrom, seine Tiefe schien unergründlich. Der Richter hatte Shan Wuhou befohlen, nach den Leichen zu tauchen. Aber der war vor der Aufgabe zurückgeschreckt und hatte behauptet, er könne nicht schwimmen. Onkel Luohan hatte all seinen Mut zusammengenommen: «Euer Ehren, sie waren meine Herren. Da ist es wohl meine Aufgabe, sie wieder hochzuholen.» Er ließ sich von einem der Arbeiter eine Flasche Branntwein bringen und rieb sich damit ein, bevor er ins Wasser sprang. Das Wasser war so tief wie eine Bambusstange. Er hielt die Luft an und ließ sich zu Boden sinken, bis seine Füße den warmen, schwammigen Schlamm berührten. Blind fuhr er mit den Armen um sich, aber sie stießen auf keinen Widerstand. Also tauchte er auf, atmete noch einmal tief ein und tauchte zum Grund. Dort unten war es kühler. Als er die Augen öffnete, konnte er nichts als eine gelbe Wand vor sich sehen. Seine Ohren dröhnten. Ein großer, nur verschwommen zu erkennender Gegenstand trieb auf ihn zu. Als er die Hand ausstreckte, durchzuckte ein scharfer Schmerz wie ein Wespenstich seinen Finger. Er schrie auf und verschluckte einen Mundvoll Brackwasser. Mit Armen und Beinen um sich schlagend, tauchte er auf, schwamm ans Ufer, zog sich aus dem Wasser und saß nach Atem ringend da.
    «Hast du etwas gefunden?» fragte der Richter.
    «Nnn ... nein.» Sein Gesicht war aschfahl. «Im Fluss ... etwas Seltsames ...»
    Versonnen auf die Bucht blickend, nahm Richter Cao seinen Hut ab und drehte ihn ein paar Mal auf dem Finger. Dann setzte er ihn wieder auf, drehte sich um und befahl zwei Soldaten: «Handgranaten!»
    Der kleine Cao ging zum Tisch und setzte sich.
    Die Soldaten legten die Gewehre beiseite, streckten sich flach am Uferboden aus, und jeder von ihnen zog eine Eierhandgranate aus dem Gürtel. Sie zogen die Zünder, knallten die Handgranaten gegen ihre Gewehre und schleuderten sie in die Bucht. Die Granaten schlugen platschend auf dem Wasser auf, und rings um sie bildeten sich konzentrische Kreise. Die Soldaten hielten die Köpfe am Boden. Stille. Nicht einmal ein Vogel zwitscherte. Ein langer Augenblick verstrich, und im Fluss geschah nichts. Inzwischen hatten die Wellenkreise das Ufer erreicht. Das Wasser war wieder so glatt wie ein Bronzespiegel und genauso undurchsichtig und trübe.
    Richter Cao knirschte mit den Zähnen und befahl: «Noch einmal!»
    Die beiden Soldaten zogen zwei weitere Handgranaten aus dem Gürtel und schleuderten sie genau wie zuvor in die Bucht. Die Zündschnüre versprühten im Flug weiße Rauchwolken, und als sie aufs Wasser trafen, ließen zwei gedämpfte Explosionen tief vom Grund her meterhohe Wassersäulen zum Himmel aufsprühen, die mit ihren ausgefransten Spitzen schneebedeckten Bäumen glichen. Einen Augenblick standen sie wie gefroren in der Luft, dann fielen sie donnernd zurück.
    Richter Cao eilte zum Ufer, und die Dorfbewohner umringten ihn. Das Wasser blieb noch lange aufgewühlt. Dann stieg eine Reihe von Blasen zur Oberfläche auf und platzte. Den Blasen folgten mindestens ein Dutzend toter Karpfen mit grünem Rücken und offenem Maul, die bauchoben an die Oberfläche trieben.

Weitere Kostenlose Bücher