Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)
kurzen Ohnmacht und fand sich auf ihrem Sofa wieder, neben ihr auf einem Stuhl Robert Borghoff, der ein Glas Cognac in der Hand hielt.
«Trinken Sie das», sagte er leise.
Sie tat es gehorsam.
«Und nun erzählen Sie, Lina. Wo sind Sie gewesen, und was haben Sie erlebt, dass es Ihnen so zusetzt?»
«Ich … ich wollte gerade hinaus.»
Er schüttelte den Kopf. «Nein, das wollten Sie nicht. Ihre Schuhe sind ganz verschmutzt, so würden Sie nie das Haus verlassen. Ganz zu schweigen von den Dreckspritzern an Ihrem Rock. Sie waren unterwegs, und offensichtlich hatten Sie es sehr eilig.»
Fast war Lina froh, dass sie ihn nicht anlügen konnte. Sie waren so vertraut miteinander geworden, dass es sie sehr geschmerzt hatte, ihn nicht einweihen zu können in das, was sie erlebt hatte. Aber nun war Pater Johannes tot, und sie brauchte jemanden, mit dem sie über alles reden konnte. Sie setzte sich auf und fing an zu weinen. Die ganze Angst und der Schock über den Anblick des Erhängten entluden sich.
Borghoff setzte sich neben sie auf das Sofa. Zuerst achtete er auf Abstand, aber dann legte er vorsichtig seinen Arm um ihre Schulter. Das brachte sie nur noch mehr zum Weinen.
«Lina …», sagte er sanft. «Glauben Sie, ich habe nicht bemerkt, dass Sie etwas bedrückt in der letzten Zeit? Und dass Sie mir etwas verschweigen?»
«Das … das haben Sie?», schluchzte Lina.
«Ja. Und ich glaube, es wäre besser, wenn Sie es mir jetzt erzählen.»
Sie beruhigte sich etwas. «Sie werden gleich in die katholische Kirche gerufen werden», sagte sie zwischen zwei Schluchzern. «Pater Johannes, der Gast aus Rom, hat sich an der Empore erhängt. Ich habe ihn heute Morgen entdeckt.»
Borghoff runzelte die Stirn. Das hatte er offensichtlich nicht erwartet. «Darf ich fragen, warum Sie, eine Protestantin, so früh am Morgen in die katholische Kirche gehen?»
«Das ist eine sehr lange Geschichte. Denn ich habe Ihnen sehr viel verschwiegen, Robert.»
Lina begann zu erzählen. Sie versuchte, sich kurz zu fassen, denn sie bemerkte, dass das Morgenläuten ausgeblieben war. Bald würde Ebel oder ein Polizeidiener unten vor der Tür stehen.
Sie ließ nichts aus – den Schmuggelkeller, Anno, Pater Johannes’ Ausführungen über Besessene, ihre Theorien über den Metzger Willmuth und Baron von Sannberg. Und das Versprechen, das der Pater ihr abgenommen hatte. «Er sagte, wenn ihm etwas passiert, dann sollte ich darauf dringen, dass es eine Untersuchung gibt.»
Borghoff hatte sie nicht unterbrochen, keine einzige Frage gestellt. Jetzt atmete er tief durch. «Ich bin ein wenig enttäuscht, Lina. Ich dachte, wir wären … Freunde, zumindest, dass Sie mir vertrauen.»
«Aber das tue ich. Das tue ich wirklich. Doch der Pater wollte die Leute wohl nicht aufscheuchen, um zu tun, was er auch immer vorhatte. Und er glaubte mich in Gefahr.»
«Das sind Sie auch, da bin ich sicher.» Borghoff wollte noch etwas sagen, als er unten vor der Tür Rufe hörte. Es war Schröder, der Polizeidiener. «Ich muss los. Versprechen Sie mir, dass Sie das Haus heute nicht verlassen, sagen Sie, Sie seien krank. Heute Abend reden wir weiter.»
Man hatte den Pater schon abgeschnitten, jetzt lag er auf dem Kirchenboden. Ebel wartete mit Pfarrer Mancy neben der Leiche. Schweigend sahen die beiden zu, wie Borghoff den Leichnam inspizierte. Mehrere Knöpfe der Soutane waren abgerissen.
«Es müssten dreiunddreißig Knöpfe sein», sagte Mancy, der Borghoffs Interesse bemerkte. «Außerdem fehlt das Zingulum.»
«Das was?», fragte Borghoff.
«Der Gürtel.» Er deutete auf den schwarzen, schärpenartigen Gürtel, den er selbst trug. «Pater Johannes war …», er suchte nach Worten, «… er war verwirrt, krank. Man hatte ihn deswegen aus Rom zurück in seine Heimat geschickt, in der Hoffnung, er würde sich erholen. Aber leider … leider scheint es hier eher schlimmer als besser geworden zu sein.»
«Was für ein Amt hatte er in Rom inne?», fragte Borghoff, ohne die Hoffnung, eine wahrheitsgemäße Antwort zu bekommen.
«Ein hohes. Er war ein Apostolischer Pronator, das ist ein besonderer Ehrentitel. Und er arbeitete im Vatikan.» Mancy sah bekümmert zu Boden. «Eigentlich hätte er mit Monsignore angeredet werden müssen, aber das hat er sich verbeten. Auch die Soutane mit den violetten Verzierungen hat er nie getragen. Und nun wird er nicht einmal in geweihter Erde bestattet werden können …»
Borghoff sah ihn fragend an.
«Nun, er hat
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