Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)
zurück.
«Nun, es betrifft das Familiengeschäft, nicht nur meinen Bruder.»
«Es steht Ihnen frei, es zu sagen, wem immer Sie wollen, Lina.»
Lina nickte. Dann wechselte sie das Thema. «Ich hatte das Gefühl, Sie haben damals Ihrem Kutscher etwas zu sehr zugesetzt, weil er mich so oft abgewiesen hatte, lieber Cornelius. Er sah mich eben ein wenig giftig an.»
«Hans? Nun, er meinte es ja gut, und ich habe ihn weniger getadelt, als ihm klargemacht, dass Sie eine Freundin sind, die ich immer empfangen möchte.»
Lina spürte, wie sie errötete. Aber sie wollte mehr über den Kutscher erfahren, deshalb fragte sie: «Wenn er so loyal ist, ist er doch sicher schon lange bei Ihnen?»
Von Sannberg nickte. «Seit meiner Militärzeit. Er war damals mein Bursche. Sein Vater war der Bursche des alten Wienholds gewesen, und Werner Wienhold suchte damals eine Stellung für ihn, weil er selbst schon einen hatte.» Von Sannberg nahm einen Schluck Cognac, und Lina tat es ihm gleich.
«Sie wollen doch wohl hoffentlich nicht mit mir den ganzen Nachmittag über Hans sprechen, oder?» Der Baron sprang auf und ging zum Bücherregal. «Ich habe etwas für Sie!»
Er zog ein Buch heraus und gab es Lina. «Gustav Freytag: Soll und Haben . Davon habe ich schon gehört. Haben Sie es gelesen?»
Er nickte. «Der Adel kommt nicht gut darin weg, fürchte ich. Lesen Sie’s, ich bin gespannt auf Ihr Urteil, Lina.» Er wandte sich wieder dem Bücherregal zu. «Und hier ist noch etwas – für meinen Geschmack zu sentimental, aber meine Töchter haben es verschlungen – Viktor von Scheffels Ekkehard .»
«Vielen Dank! Ich brauche inzwischen zwar nicht mehr so viel Lesestoff wie früher, weil mir die Arbeit dafür kaum Zeit lässt, aber ich habe lange kein gutes Buch mehr gelesen.»
«Das Geschäft läuft also?», fragte er.
«Ja, recht gut. Jedenfalls brauche ich mir keine Sorgen mehr um die Miete zu machen, auch wenn ich keine Reichtümer ansammle.»
«Das kommt noch. Jetzt, wo Sie die Anzeige in die Zeitung gesetzt haben.»
«Sie haben sie gesehen?»
Er nickte. «Es hat mich sehr gefreut. Weiß Ihr Bruder schon davon?»
«Er ist noch in Rotterdam. Ehrlich gesagt, habe ich etwas Angst vor der Rückkehr.»
«Möglicherweise hat er dann andere Sorgen», sagte der Baron.
Das Gespräch wanderte zu ihren Lieblingsthemen Literatur und Musik, und der Nachmittag verging wie im Fluge. Lina hatte mehr als einen Cognac getrunken, sodass ihre Wangen gerötet waren, als sie sich von der Familie von Sannberg verabschiedete, nicht ohne das Versprechen gegeben zu haben, bald wiederzukommen.
Tatsächlich fühlte sie sich etwas beschwipst, als sie den Heimweg antrat. So übersah sie, was selten vorkam, einen losen Stein im Pflaster und wäre fast gestürzt, doch jemand hielt sie an ihrem Arm.
«Danke», sagte sie, aber als sie sich zu dem Helfer umdrehte, durchfuhr sie ein Schreck. Es war Hans Brecht, und er hielt sie am Arm fest, obwohl sie längst wieder sicher stand.
«Stecken Sie Ihre Nase nicht in Dinge, die Sie nichts angehen», sagte er leise, denn sie waren nicht allein in der Straße. «Halten Sie sich fern vom Baron, sonst wird es unangenehm für Sie, mein Fräulein.»
Linas Herz klopfte ohnehin schon von dem Schrecken des Beinah-Sturzes, doch jetzt raste es. Was wusste Brecht? Trug er ihr immer noch nach, dass sie von Sannberg hatte fortbringen lassen, oder war ihm klar, welche Rolle sie im Hause Wienhold gespielt hatte? Hatte Annette sie inzwischen verraten?
«Lassen Sie mich los», sagte sie laut. Ein Passant drehte sich um, und augenblicklich nahm Brecht seine Hand weg. So schnell sie konnte, hinkte sie davon und wagte es nicht, sich umzudrehen, um zu sehen, ob er ihr folgte.
Am nächsten Morgen holte sie Borghoff wie versprochen mit dem Einspänner des Bürgermeisters ab. Diesmal lenkte er den Wagen nicht selbst, sondern hatte auch Weinhagens Kutscher in Anspruch genommen. Er half Lina in den Wagen und nahm dann neben ihr Platz.
Der Himmel war bedeckt, aber es sah nicht so aus, als ob es regnen würde. Lina hatte eine große Tasche bei sich, in der sie ein neues Kleid für Finchen verstaut hatte, das sie tragen konnte, wenn das Kind da war und sie das Heim wieder verließ.
«Hat die Obduktion schon stattgefunden?», fragte Lina Borghoff.
Der schüttelte den Kopf. «Das wird heute geschehen, während wir unterwegs sind.»
Lina erzählte Borghoff von der unangenehmen Begegnung mit Hans Brecht, aber irgendwie hatte sie den
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