Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)
da passiert sein …»
«Was geschah denn nach der Beerdigung?»
«Ich glaube, sie hatte Angst vor ihm. Sie blieb den ganzen Nachmittag, seit sie zurück war, im Schlafzimmer, und er brütete in der Stube vor sich hin. Er wollte nichts essen oder trinken, da ließ ich ihn in Ruhe. Und dann stand er plötzlich auf und ging ins Schlafzimmer. Sie schrien sich an.» Sie rührte immer noch in ihrer Teetasse, bemerkte es und nahm den Löffel heraus.
«Haben Sie gehört, um was es ging?»
«Ja. Aber verstanden habe ich es nicht. Sie sprach davon, dass sie ihrer Hedwig eine glänzende Zukunft hatte bereiten wollen. Dass sie gehofft hatte, sie würde zu den Auserwählten gehören. Dass besondere Kinder besonderer Schulung bedürften und es bei ihr selbst nie gereicht hatte.»
Das Mädchen lächelte. «Vielleicht war sie es auch, die verrückt war, nicht er.»
«Ja, vielleicht.» Borghoff trank seinen Tee aus. «Adelheid, Sie möchten sicher nicht hierbleiben heute Nacht.»
«Nein, bestimmt nicht.»
«Ich bringe Sie zu Heckmann, dort können Sie heute umsonst übernachten. Alles Weitere regeln wir morgen.»
Er wartete noch, bis sie ihren Tee getrunken, den Rest weggegossen und die Kanne gereinigt hatte. Dann gingen sie gemeinsam zu Heckmann.
Lina hatte besorgt auf Borghoff gewartet. Es war nach neun, als er endlich kam. Nachdem er Adelheid zu Heckmann gebracht hatte, war er noch ins Rathaus gegangen und hatte mit Dr. Erbling geredet, aber kaum etwas Neues erfahren. Zu dem, was er seiner Frau vorgeworfen hatte, schwieg er beharrlich. Nach und nach waren die Bürgerwehr und die Polizeidiener, die mit der Suche nach Oskar beschäftigt waren, gekommen und hatten sich abgemeldet. Jemand hatte tatsächlich eine Frau in einem braunen Kleid mit einem Kind auf der Dammstraße gesehen. Sie war in Begleitung eines Mannes gewesen, dessen Beschreibung auf Hans Brecht, von Sannbergs Kutscher, passte, aber genauso gut auf viele andere Ruhrorter. Der Kleine blieb verschwunden.
Lina sah es seinem Gesicht an, dass die Suche nichts ergeben hatte.
«Wie geht es Finchen?», fragte er.
«Simon ist jetzt bei ihr. Keiner von uns konnte sie trösten, da habe ich vorgeschlagen, ihn kommen zu lassen.»
«Nicht gerade schicklich.»
«Das ist mir egal. Finchen soll nur aufhören zu weinen. Ich sehe nachher nach den beiden und schicke ihn nach Hause. Was ist mit Erbling?»
«Er hat seine Frau erschlagen, weil er wohl dahintergekommen ist, was mit der Kleinen bei den Wienholds passiert ist.»
«Das habe ich mir schon gedacht», sagte Lina. «Vielleicht kommt so endlich etwas heraus.»
«Möglich.» Borghoff sah ins Leere. Lina wusste, er glaubte nicht daran. «Ich gehe in mein Zimmer, ich bin sehr müde.» Damit ging er die Treppe hinauf.
Lina ließ den jungen Eltern noch ein Stündchen Zeit, dann ging auch sie hinauf in das Dachzimmerchen.
Finchen schlief, Simon saß neben ihr auf dem Stuhl, die Kerze hatte er auf den Boden gestellt. Vor dem Bett stand der leere Wäschekorb.
«Du musst jetzt gehen, Simon», flüsterte Lina.
Der Junge stand auf und folgte ihr hinaus. «Sie hat nur geweint und ist dann vor Erschöpfung eingeschlafen», sagte er.
Lina schloss leise die Tür. «Du darfst morgen nach deiner Arbeit wieder herkommen.»
«Das ist sehr großzügig von Ihnen, Fräulein Lina. Danke.»
«Die Tür unten müsste unverschlossen sein.»
Lina sah ihm nach, wie er die Treppen hinunterlief, und horchte, bis er das Haus verlassen hatte. Dann klopfte sie leise an Borghoffs Tür.
Seit seiner Krankheit war sie nicht mehr in seinen Räumen gewesen. Sie fand ihn im Dunkeln auf seinem alten Sofa sitzen. «Lina!», rief er und zündete die Kerze an, die vor ihm auf dem Tisch stand.
«Entschuldigen Sie. Aber so bald werde ich nicht schlafen können. Es ist so viel passiert.»
«Der Junge?»
«Hat das Haus gerade verlassen. Finchen schläft. Aber wenn sie morgen früh aufwacht und den leeren Korb sieht, wird sie weiterweinen.»
Lina setzte sich zu ihm auf das Sofa, in einem schicklichen Abstand. Sie senkte den Kopf. «Ich bin die ganze Zeit stark geblieben», sagte sie leise. Aber dann konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten. «Wenn dem Kleinen etwas geschieht, könnte ich es nicht ertragen.»
«Ich auch nicht, Lina, ich auch nicht.»
Er rückte näher zu ihr, und sie nahm das Taschentuch, das er ihr hinhielt, aber sie konnte nicht aufhören zu weinen. Die Aufregungen des Tages waren einfach zu viel gewesen.
«Ich
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