Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)
nicht den Fehler gemacht, ihn vorher zu töten wie bei Pater Johannes.
«Das ist eigentlich Sache der Mülheimer Landgendarmerie», sagte Borghoff. «Aber ich denke, es ist besser, wenn wir dafür sorgen, dass der Fall in Ruhrort bleibt.»
Oskar schrie wieder lauter, als Borghoff ihn zurück auf die Pritsche legte, aber immerhin wärmte ihn jetzt noch Borghoffs dicker Uniformmantel. Gemeinsam mit von Sannberg hob der Commissar die Toten in den geschlossenen Zweispänner.
Als sie losfuhren, beide wie zuvor auf dem Kutschbock, hatte von Sannberg das Kind unter seinem Mantel.
«Wer könnte der andere Mann sein?», fragte der Baron.
«Vermutlich ist es ein ehemaliger Diener der Haniels.»
«Wollen Sie mir nicht endlich erzählen, was Sie über den Orden wissen, dessen Mitglied ich heute wäre, wenn mir nicht die Freimaurer dazwischengekommen wären?»
Den Rest der Fahrt hörte von Sannberg Borghoff zu.
Es war um die Mittagszeit, und aus der Küche drang ein betörender Duft nach oben in Linas Räume. Das konnte sie jedoch nicht milde stimmen, denn sie hatte ihre Schwester in Georgs Haus aufgesucht und sie noch in Nachtkleidern vorgefunden.
Auf ihre Vorwürfe, Aaltje nicht bei der Geburt beigestanden zu haben, war Mina gar nicht eingegangen, ebenso wenig nahm sie sich davon an, dass Lina wusste, dass sie die Nacht bei Reppenhagen verbracht hatte. «Es geht dich nichts an», hatte sie gesagt. «Donatus sagt auch, dass du viel zu neugierig bist. Wenn er Ende des Jahres nach Amsterdam geht, werde ich ihn vielleicht begleiten.» Mina strahlte wie ein frischverliebtes junges Mädchen.
«Und deine Kinder? Was ist mit Emil und Josef?»
Mina hatte sie nur mit großen Augen angesehen. «Denen geht es doch gut hier. Ich habe so lange so viele Dinge entbehrt. Ich muss jetzt auch einmal an mich denken.»
Fassungslos hatte Lina ihre Schwester stehen lassen, und auch der Besuch bei der Schwägerin, die die Geburt sehr mitgenommen hatte, und dem kränklich und apathisch wirkenden Kind hatte ihre Stimmung nicht aufbessern können, obwohl sich Aaltje aufrichtig zu freuen schien.
Lina hatte pflichtgemäß das Kind bewundert, Aaltje hatte immer betont, dass die Kleine schon viel stärker geworden sei, und beide hatten gewusst, dass sie einander anlogen. Lina hatte noch nie so deutlich die Verzweiflung ihrer Schwägerin gespürt.
Jetzt saß sie in ihrem Wohnzimmer. Sie hatte ihre Arbeit in den letzten Tagen sehr vernachlässigt und hoffte, wenigstens etwas aufzuholen. Draußen hielt eine Kutsche, aber sie achtete nicht darauf. Doch als einen Augenblick später Antonies Rufe durch das Haus hallten, sprang sie auf und beeilte sich hinunterzukommen.
«Oskar ist wieder da! Oskar ist wieder da!»
Unten standen Robert, der Oskar trug, und Baron von Sannberg. Clara und Wilhelm waren beide aus dem Laden gelaufen. Nur eine war nicht da – Finchen war gerade zum Brunnen gegangen, um Wasser zu holen.
Lina war auf die Straße getreten, um zu sehen, wie es dem Kleinen ging. Er weinte.
Gerade wollte Lina ihn Robert abnehmen, als eine kleine Gestalt mit zwei schweren Wassereimern um die Ecke bog. Finchen hielt an. Sie sah die Versammlung vor dem Haus, hörte dann das Kind und ließ augenblicklich die Eimer fallen. Dann rannte sie los, schneller als Lina es je von ihr gesehen hatte, bis sie vor Borghoff stand, der ihr das Kind überreichte. Sie lachte und weinte gleichzeitig, und es brauchte einiges an Überredungskraft, sie mit dem Kind ins Haus zu bringen.
«Ihnen muss kalt sein», sagte Lina zu den beiden Männern. «Wie wäre es mit einem Tee?»
«Die beiden da drin laufen uns nicht weg, Herr Commissar», sagte von Sannberg.
Da der Ofen in Claras Salon noch nicht befeuert war, bat Lina alle in die Küche. Lina bereitete den Tee, während Borghoff berichtete, was sie in der Hütte vorgefunden hatten. Als Clara, Wilhelm und Antonie zu ihnen stießen, wechselten sie rasch das Thema. Schließlich kam auch Finchen wieder herunter, mit dem Korb, in dem Oskar schlief. «Ich lasse ihn nie wieder aus den Augen», sagte sie. Und dann fiel sie, alle guten Sitten außer Acht lassend, erst Borghoff und dann von Sannberg um den Hals.
«Entschuldigung», sagte sie mit hochrotem Kopf, denn sie hatte Linas tadelnden Blick bemerkt. «Ich weiß, dass es sich nicht gehört, fremde Herren zu küssen, aber ich habe keine andere Möglichkeit, mich zu bedanken.»
«Mir hat es gefallen», sagte von Sannberg trocken.
«Mir auch», bestätigte Borghoff
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