Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)
war spärlich, trotz mancher Auszeichnungen. Sein Auge hatte er mit 25 Jahren bei einem Manöver verloren, doch erst die schwere Rückenverletzung zu Beginn des Schleswig’schen Krieges hatte ihn gezwungen, den Dienst zu quittieren.
Das Militär war sein Leben gewesen. Dort hatte er es aus einfachen Verhältnissen zum Leutnant gebracht. Doch seine Hoffnung, bei der Polizei ein wenig von der Sicherheit, die das Militär ihm geboten hatte, wiederzufinden, war enttäuscht worden.
Die Aufstände von 1848 waren bei seiner Genesung längst vorbei, und für die militärisch organisierte Schutztruppe war er nicht mehr tauglich. So landete er bei der Geheimen Polizei, erst in Berlin, dann in Düsseldorf. An die Gesinnungsschnüffelei konnte er sich nur schwer gewöhnen. Trotzdem hatte Borghoff sich bald einen ausgezeichneten Ruf erworben. Als er seinen Abschied nahm, um im kleinen Ruhrort die Leitung der Polizei zu übernehmen, wurde das in Berlin und Düsseldorf mit Bedauern aufgenommen.
Als Borghoff beim Wirt Heckmann ankam, hatte er seine übliche Ruhe schon fast wiedergefunden. Heckmann hatte eine große Gaststätte mit einem Ballsaal gebaut und vermietete auch Zimmer. Borghoff fand die Bezeichnung «Hotel» zwar übertrieben, aber es war sicher eines der besseren Häuser am Ort. Im Hof standen einige Fuhrwerke, aber keine Kutschen. Auch bei Lohbeck wurde er nicht fündig. Schließlich ging er zur Gesellschaft Erholung an der Dammstraße, die 1823 von den wohlhabenden Ruhrorter Bürgern gegründet worden war. Der Pächter führte ein feines Lokal, in dem sich alles, was Rang und Namen hatte, traf und feierte. Dort standen auch drei schwarze Zweispänner. Während zwei der Wagen mit eingespannten Pferden warteten und ihre Kutscher sich miteinander unterhielten, waren am anderen Wagen die Pferde ausgespannt und fraßen aus den umgehängten Hafersäcken.
Borghoff zögerte. Dies waren die Kutschen Ruhrorter Bürger, er würde direkt gegen die Anweisung des Bürgermeisters verstoßen.
Trotzdem ging er hinüber zu den beiden Kutschern und stellte sich vor.
«Wessen Wagen sind das?», fragte er.
«Stehen wir etwa im Weg?», fragte der Jüngere der beiden. «Wenn ja, fahren wir die Kutschen beiseite …»
«Wir dachten, unsere Herrschaften steigen nur kurz hier ab, deshalb …», ergänzte der andere.
«Nein, es ist alles in Ordnung. Wem gehören denn nun die Kutschen?» Borghoff setzte ein beruhigendes Lächeln auf.
«Mein Herr Carl Liebrecht und seiner, der Herr Borgemeister, haben sich heute in Mülheim zufällig getroffen und beschlossen, den Tag hier ausklingen zu lassen.»
«Liebrecht und Borgemeister wohnen doch hier ganz in der Nähe?»
Der Kutscher seufzte. «Ja. Wir wünschten auch, wir hätten sie nach Hause fahren und die Pferde ausspannen und versorgen können, aber die Herrschaften …» Er zuckte bedauernd die Schultern.
«Verstehe. Danke für die Auskunft. Ach … kennen Sie den anderen Kutscher dort drüben?»
«Das ist der Wagen von Herrn von Sannberg, der hat ein Gut drüben in der Grafschaft Moers.»
«Danke.» Borghoff schlenderte hinüber zu der anderen Kutsche. Der Kutscher schleppte gerade einen Eimer Wasser vom Brunnen des Gasthauses her. Zu Borghoffs Erstaunen war das Wasser nicht zum Tränken der Pferde gedacht. Der Kutscher stellte den Eimer vor die offene Kutschentür und begann, den Wagenboden mit einer Bürste und einem großen Lappen zu säubern.
Er zuckte zusammen, als er Borghoff dicht neben sich bemerkte. Ein Ärmel seiner dunkelblauen Tuchjacke war ganz feucht, der helle Lappen, mit dem er das Wasser vom Boden aufnahm, war rosa verfärbt.
«Ist das Blut?», fragte Borghoff.
Der Mann nickte. «Jemand hat heute früh auf Herrn von Sannbergs Hund Brutus geschossen. Er hat das Tier in den Wagen geschafft und ist hierher nach Ruhrort gefahren. Er kennt einen Chirurgen, der keinen Unterschied zwischen Mensch und Tier macht. Der hat die Schrotkugeln herausgeholt. Und ich muss jetzt den Wagen säubern.»
«Dann sind Sie seit heute Morgen hier in Ruhrort?»
Der Kutscher schüttelte den Kopf. «Nein, seit gestern bereits. Das Jagdrevier liegt zwischen Ruhrort und Mülheim, und Herr von Sannberg hat ein Haus hier.»
Also doch kein Fremder. Borghoff wollte sich gerade zurückziehen, als ein mittelgroßer Mann an der Tür erschien. Borghoff schätzte ihn jenseits der fünfzig, doch er war schlank, und trotz der Jagdkluft wirkte er elegant. «Bist du so weit, Hans?», rief er dem
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