Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Beteiligten war schmerzlich bewusst: Jede weitere Woche, die der Hebeturm später fertiggestellt wurde, war bares Geld, das die Unternehmer verloren.
Nun, am neunten November, wurde endlich das Fundament des Turms gegossen, und Georg war mit den anderen Herren zur Baustelle geeilt, um sich das Spektakel anzusehen.
Lina hatte sich auf einen ruhigen Nachmittag eingestellt. Die neue Ausgabe der Gartenlaube wartete schon seit einer Woche mit Temmes neuester Kriminalgeschichte auf sie. Der aufregende Leichenfund lag nun schon eine gute Woche hinter ihr, und es schien, als habe er Ruhrort wenig berührt. Alles ging seinen Gang, auch im Hause Kaufmeister. Neben Linas üblichen Aufgaben widmete sie sich den Vorbereitungen für die Heimkehr der Schwester. Es galt, neues Bettzeug für das Dienstbotenzimmer zu besorgen und was sonst noch nötig war, um die beiden Neffen dort unterzubringen. Den Maler hatte sie bereits bestellt.
Sie hatte es sich gerade in ihrem Sessel bequem gemacht, als Finchen an die Tür klopfte. Sie wartete Linas «Herein» nicht ab, öffnete sofort und sprudelte gleich hervor: «Herr Kaufmeister hat einen Jungen geschickt, der Ihnen sagen soll, dass er gleich mit ein paar Herren herkommt.»
«Was heißt gleich, und was meint er mit ‹ein paar›?»
Finchen zuckte die Schultern. «Das hat er nicht gesagt.»
Lina seufzte, doch bevor sie etwas sagen konnte, sagte Finchen: «Der Junge wartet noch unten. Ich glaube, er möchte eine Entlohnung.»
«Sag der Köchin und Lotte Bescheid, es gibt viel Arbeit. Und wecke meine Schwägerin auf.» Lina legte die Gartenlaube beiseite und stand auf. Der Bruder hatte nicht einmal seinen Boten aus eigener Tasche entlohnt. In ihrer Schürzentasche klimperten ein paar Münzen.
Finchen war bereits die Treppe hinuntergestürmt.
Im Flur wartete ein ärmlich gekleideter Junge, den Lina auf etwa zwölf Jahre schätzte.
«Guten Tag, mein Junge», begrüßte sie ihn.
«Guten Tag, Fräulein Lina.»
Lina unterdrückte ein Schmunzeln. Sie so und nicht beim Nachnamen zu nennen, hatte etwas von einem Spitznamen. «Du bist der Jörg Seiters, der Sohn unserer Wäscherin, nicht wahr?»
Er nickte, ein bisschen stolz, dass sie ihn erkannt hatte.
Lina hatte schnell heraus, dass etwa zwölf bis fünfzehn Ruhrorter Honoratioren mit Georg an der Baustelle gestanden hatten, darunter der Bürgermeister und Franz Haniel. Georg hatte sie alle eingeladen. «Er lässt ausrichten, etwa zwei Stunden würden die Arbeiten noch dauern, dann kommen sie hierher.»
Zwei Stunden. Lina atmete ein wenig auf. Etwas Zeit hatten sie also noch. «Gut. Jörg, weißt du, wo das Haus der Messmers ist?»
Er nickte. «Meine Mutter wäscht auch für sie. Das ist in der Dammstraße.»
Lina griff in ihre Tasche und holte zwei Silbergroschen heraus. Jörgs Augen begannen zu leuchten. «Lauf dorthin und sage meiner Schwester Bescheid, wir bräuchten noch etwas für die Tafel und Hilfe. Und die sind für dich.»
Er nahm die Münzen, steckte sie aber nicht in seine Hosentasche. Lina vermutete, dass sie ein Loch hatte. Sie nahm sich vor, seiner Mutter beim nächsten Mal eine alte Hose von Karl mitzugeben, die sie für den Kleinen umändern konnte.
Der Junge rannte los. Hinter Lina hatten sich inzwischen die Köchin Helene, die Hausmädchen Lotte und Finchen, der Hausdiener Heinrich und die Schwägerin Aaltje versammelt.
«Wir bekommen gleich viel Besuch, und alle müssen mithelfen. Helene, was gibt die Speisekammer her? Können wir in zwei Stunden ein richtiges Dinner für 20 Personen auftischen?»
Die Köchin schüttelte den Kopf. «Für einen kleinen Besuch würde es reichen, aber zwanzig Personen …»
«Gut, dann gibt es kalte Speisen.»
«Allerdings …» Die Köchin zögerte, bis Lina sie aufmunternd ansah. «Wir haben eine gute Rindfleischsuppe, daraus könnte ich eine Zwiebelsuppe machen, um sie zu verlängern. Dann den kalten Braten, den ich zum Abendessen vorgesehen hatte. Ich könnte auch einen Kartoffelsalat machen und natürlich Schinkenschnittchen.»
Lina hatte zunächst genickt, dann schüttelte sie den Kopf. «Die Kartoffeln dauern zu lange. Wir machen einen Kappussalat und einen Gurkensalat aus eingelegten Gurken. Finchen, du läufst zum Bäcker und kaufst Kuchen für zwanzig Personen, alles, was er hat. Und bringe auch zwei dunkle und zwei weiße Brote mit. Nimm den Peter mit, der kann dir tragen helfen, und lass anschreiben, wir bezahlen gleich morgen.»
Die Köchin war bereits in
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