Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)
langsam das Wasser, während er auf ihren gebeugten Nacken mit dem dicken roten Knoten blickte. Lina saß immer ganz kerzengerade, weil ihre steife Hüfte keine andere Haltung zuließ.
«Da steht nichts von der Kutsche», sagte sie. «Nicht nur nichts von meinen Vermutungen, gar nichts mehr von der Kutsche.»
«Zeigen Sie mal her.» Borghoff überflog die Abschrift. «Ich muss gestehen, dass ich sie nicht mehr durchgelesen habe.» Tatsächlich. Die Passage mit der Kutsche fehlte.
«Ich fürchte, da hat sich Bürgermeister Weinhagen eingemischt. Er möchte seine Bürger nicht aufschrecken.»
Lina sah zu ihm auf, er merkte, dass sie wütend war. «Er will also verhindern, dass der Mörder der armen Kinder gefunden wird.»
Borghoff schüttelte den Kopf. «Nein, keineswegs. Er glaubt nur, dass es kein angesehener Ruhrorter Bürger gewesen ist. Er ist mein Vorgesetzter. Ich kann nichts dagegen tun.»
Lina stand auf und ging zum Schrank, in dem ein Tintenfass stand. Sie tauchte die Feder ein und unterschrieb, gab ein wenig Löschsand darauf und reichte es dem Commissar. Es schien fast, als sei sie von ihm enttäuscht.
«Es gibt eine Spur.» Er wusste nicht, warum er sich gezwungen fühlte, ihr das zu sagen. «Jemand hat eine Hafenhure schlimm zugerichtet. So jemandem wäre auch der Kindermord zuzutrauen.»
«Und wenn das ein angesehener Bürger ist?» Linas zornige Augen passten ganz und gar nicht zu dem Bild einer züchtigen Hausfrau.
«Er ist mein Vorgesetzter.»
Lina tat es plötzlich leid, dass sie Borghoff so bedrängt hatte. «Ich verstehe das. Es gefällt mir nicht, aber ich verstehe es.»
«Ich habe auch nicht gesagt, dass es mir gefällt, Fräulein Kaufmeister.»
Er verabschiedete sich. Lina brachte ihn hinaus und sah ihm hinterher. Dann schloss sie die Tür und ging in die Küche. «Der Brief geht heute noch ab?», fragte sie Finchen.
Die nickte. «Ich habe gerade noch den letzten Postwagen erwischt.» Ihr Gesichtsausdruck schien zu sagen: Siehst du, manchmal ist es doch gut, wenn man rennt. Lina musste schmunzeln.
Der Brief an ihre Schwester Mina war also auf dem Weg und in spätestens drei Tagen in Brüssel.
3. Kapitel
Schon 1847 hatte es einen Beschluss gegeben, die rechtsrheinische Cöln-Mindener Eisenbahn, mit der Ruhrort über eine Zweigbahn ab Oberhausen verbunden war, und die Ruhrort-Crefeld-Kreis-Gladbacher-Eisenbahn, deren Endbahnhof sich im linksrheinischen, Ruhrort gegenüberliegenden Homberg befand, durch einen Trajektbetrieb miteinander zu verbinden. Zum einen, da der Bau einer Rheinbrücke an dieser Stelle technisch sehr aufwendig war, und zum anderen, weil die Preußische Regierung aus strategischen Gründen keine Genehmigung für eine Brücke erteilte.
Der alte Kaufmeister hatte mit anderen Ruhrorter Bürgern für eine Lösung gekämpft, bei der Dampfschiffe die beladenen Eisenbahnwaggons über den Rhein transportierten und das lästige und zeitraubende Umladen auf Schiffe entfiel. Seit 1852 schleppte ein Dampfschiff bis zu sechs Waggons zur anderen Rheinseite. Die Wagen liefen über eine schiefe Ebene auf große Pontons, was häufig zu schweren Unfällen führte, zudem war dieser Transport wegen des Gefälles auf kurze Wagen beschränkt. Nicht wenige Waggons samt Ladung waren im Rhein gelandet, häufig schon Menschen zu Schaden gekommen. Inzwischen war die Anlage für das große Verkehrsaufkommen zu klein geworden, im letzten Jahr war die Zahl der übergesetzten Waggons auf 700 pro Monat angestiegen.
Auch für die Kaufmeisters war trotz ihrer Schiffe die Bedeutung des Eisenbahntransports gewachsen. Konnte man die Kapazität des Trajektbetriebes nicht erhöhen, bestand die berechtigte Sorge, von Auswärtigen verdrängt zu werden. So gehörten Georg Kaufmeister und sein Schwager Bertram Messmer zu den entschiedenen Befürwortern des kühnen Projekts, die Waggons mit Hilfe eines hydraulischen Hebeturms direkt auf die Schiffe zu setzen, was den Transport einer weit größeren Anzahl von Wagen ermöglichte.
Das Projekt hatte bisher unter keinem sehr günstigen Stern gestanden. Bereits seit Mai wurde am Hebeturm und dem dazugehörigen Maschinenhaus gearbeitet, sie sollten bis Jahresende über dem Mittelwasser stehen. Armstrong, der englische Patentinhaber der Hydraulikvorrichtungen, lieferte die Pläne jedoch nicht rechtzeitig ab, und der Baubeginn verzögerte sich. Schließlich war der Sommer vorbei, und mehr als die Vorbereitungen zum Ausschachten waren nicht getan. Allen
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