Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)
dass Clara irgendwann stutzig wurde, wenn Antonie katholische Kirchenlieder zum Besten gab.
Nicht nur ihre Nichten Friederike und Emma, auch Guste hatte sich bisher ihre Garderobe meist von Lina nähen lassen. Natürlich sagte Lina nicht nein, als ihre Schwester sie fragte, zumal neue Aufträge weiterhin auf sich warten ließen. Guste wusste von Linas Erfolg bei den Wienholds, und als Lina ihre Arbeit bei den Messmers beendet hatte, bestand auch Guste darauf, sie zu bezahlen. Es war zwar nur eine bescheidene Summe, und Lina war drauf und dran, die Bezahlung abzulehnen, weil sie es unanständig fand, der Familie etwas zu berechnen. Aber Guste und Bertram machten ihr klar, dass sie ein «Nein» nicht akzeptierten.
«Wir haben uns so daran gewöhnt, seit Jahren nur die Materialkosten zu bezahlen, Lina, doch jetzt, wo du darauf angewiesen bist, dein Geld selbst zu verdienen, wäre es einfach nicht recht», wehrte Bertram ab.
«Aber wenn Georg davon erfährt …»
«Von uns erfährt er es nicht», sagte Bertram.
«Ich frage mich ohnehin, was passiert, wenn er weiß, dass ich wieder Geld habe. Womöglich nimmt er es mir erneut weg.» Lina hatte bisher noch mit niemandem über ihre Befürchtungen gesprochen.
«Dann bringe das Geld zu einer Bank.»
Lina sah ihren Schwager verblüfft an. «Um ein Konto zu eröffnen, brauche ich doch Georgs Erlaubnis – und keine Ruhrorter Bank würde ihn übergehen.»
«Es gibt eine neue Bank hier. Der Bankier ist Jude, aber das stört dich doch wohl nicht, wenn es ihn nicht stört, dass du deinem Vormund entwischt bist.» Bertram lächelte. «Ich kenne Samuel Goldstein schon sehr lange, er ist ein sehr ehrenwerter Mann. Und wenn ich für dich bürge und ein gutes Wort einlege, dann kannst du das Geld dort vor Georg in Sicherheit bringen.»
«Aber Bertram, wenn Georg das erfährt …»
«Ich mag dich, Schwägerin. Und Georg tut dir großes Unrecht, egal, wie man über deine Entscheidung denkt.» Er stand auf und begleitete sie zu Tür. «Wir sollten aber nicht zu Goldstein gehen, wenn Georg in Ruhrort ist. In zwei Tagen fährt er nach Duisburg, ich hole dich dann ab.»
«Danke», sagte Lina und drückte ihm die Hand.
Mit den fünfzehn Thalern von Bertram hatte sie die Miete nun zusammen. Alles Weitere könnte sie für Brennholz und ein paar Annehmlichkeiten ausgeben. Aber sie würde ruhiger schlafen, wenn sie das Geld auf der Bank wüsste.
Zwei Tage später eröffnete Lina mit Hilfe von Bertram ein Konto bei der Bank von Samuel Goldstein. Der Bankier versicherte ihr, dass Georg erst gar nichts von dem Konto erfahren würde. «Für mich erstreckt sich das Bankgeheimnis auch darauf, wer meine Kunden sind», erklärte ihr Goldstein.
«Nun, viel verdienen werden Sie an mir nicht», meinte Lina. «Ich bin froh, dass ich jetzt meine nächste Jahresmiete zusammen habe, wenn keine unvorhergesehenen Ausgaben auf mich zukommen.»
«Ich gebe auch Kredit.» Er sagte das mit einem Lächeln, das die Ironie seines Tonfalls konterkarierte.
Als Lina in die Harmoniestraße zurückkehrte, fühlte sie sich friedlich und sicher. Achtzig Thaler hatte sie auf ihr neues Konto gezahlt, achtzig Thaler, die ihr Georg nicht so ohne weiteres nehmen konnte. Und am Vormittag erreichte sie eine Notiz der Frau von Dr. Erbling. Sie lud Lina zu sich ein, aber diese ahnte bereits, dass es um mehr ging und sich ein neuer Auftrag abzeichnete. Mit Frau Erbling war die Silvestergesellschaft des Barons komplett.
So ging Lina in das kleine Haus der Erblings in der Kleinen Straße am anderen Ende der Altstadt. Es war vor etwa zwanzig Jahren neu erbaut worden, nachdem das alte Gebäude abgebrannt war. Erbling hatte es von der Witwe seines Vorgängers erworben. Sie waren vor etwa anderthalb Jahren zugezogen, was allgemein begrüßt wurde, denn Dr. Feldkamp und der alte Dr. Zinnowitz wurden der steigenden Einwohnerzahl nicht mehr Herr, auch wenn viele der ärmeren Ruhrorter meist nur die Hilfe des versoffenen Chirurgen Bleiweiß in Anspruch nahmen.
Der junge Doktor war längst nicht so reich wie die von Müllers oder gar die Wienholds. Es war seiner Frau ein wenig peinlich, Lina vor allem um Änderungen zu bitten. Aber gerade hier war Lina in ihrem Element und gab der jungen Frau zu verstehen, dass nichts Anstößiges daran war, sparsam zu sein. Ein neues Nachmittagskleid hatte der Doktor seiner Frau zugestanden. «Und ich soll wieder das Ballkleid aus den letzten zwei Jahren tragen.»
Am Ende hatten sie
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