Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Bürgerwehr: «Die Bürgerwehr ist für die Straßen und Gassen stadtauswärts verantwortlich. Sollten wir Drömmer aufschrecken, darf er nirgendwo entwischen können. Deshalb ist es wichtig, dass alle in Uniform erscheinen.»
«Mit den Gewehren?», fragte Richard Lammers, der in diesem Jahr Schützenkönig werden wollte.
Borghoff schüttelte den Kopf. «Wir jagen zwar einen großen, starken Kerl, aber Schlagstöcke sollten genügen. Wenn es nach mir geht, werden Sie gar nicht eingreifen müssen. Eine Schusswaffe könnte Zivilisten verletzen.»
Lammers machte ein enttäuschtes Gesicht. Borghoff fuhr fort: «Der Hafenmeister und seine Leute sind für die Abriegelung des Hafens zuständig. Jeder, der sein Schiff verlässt oder es betreten will, wird kontrolliert. Nachtwächter Evens wird an diesem Tag Drömmers Schiff im Auge behalten, seinen Dienst am Tag davor und danach soll jemand von der Bürgerwehr übernehmen. Er wird dafür bezahlt werden.»
«Und was macht dann die Polizei?», fragte Lammers.
«Die regulären Polizeikräfte werden in drei Gruppen – je ein Sergeant beziehungsweise ich mit je einem Polizeidiener – die gesamte Altstadt durchkämmen. Wir beginnen mit den Gasthäusern und Bordellen und nehmen uns danach die Wohnhäuser vor. Wenn wir ihn so zu fassen bekommen, gut. Wenn nicht, gehen Sie davon aus, dass dies eine Jagd ist und wir Polizisten die Treiber sind.»
«Aber schießen dürfen wir nicht …»
«Ich habe Ihnen doch schon erklärt, warum, Herr Lammers.» Borghoff sah in die Runde. «Wir müssen ihn diesmal kriegen, koste es, was es wolle. Und zwar lebend.»
«Und wann soll das Ganze stattfinden?», fragte Nachtwächter Evens.
«Übermorgen. Die Bürgerwehr muss sich erst besprechen, und auch wir müssen genau festlegen, wie wir vorgehen.» Borghoff entließ die Hilfspolizei und bat seine Leute, noch einen Moment zu bleiben.
«In etwa einem Monat werden wir in ein neues Rathaus ziehen, das Westphal’sche Haus an der Dammstraße, das Sie sicher alle kennen. Ich möchte Sie bitten, diesen Umzug jetzt schon vorzubereiten. Dazu gehört auch, dass alles Überflüssige entrümpelt wird. Den genauen Termin gibt der Bürgermeister noch bekannt. Ich werde mir in den nächsten Tagen die neuen Räumlichkeiten ansehen.»
Polizeidiener Schröder hob die Hand und fragte: «Wenn dort mehr Platz ist, werden wir dann noch jemanden einstellen? Wir kommen ja jetzt schon mit der Kontrolle der Fremden nicht mehr nach.»
«Ich werde mit dem Bürgermeister darüber sprechen. Möglicherweise ergibt sich etwas.»
Am Nachmittag des 24. Mai machte sich Lina mit ihren Zeichnungen und Stoffmustern auf den Weg zum Haus von Dr. Erbling. Irgendetwas war anders in der Altstadt heute. Sie war immer laut und geschäftig, aber das erinnerte an das Summen eines Bienenschwarms. Doch heute hatte sich eine merkwürdige Unruhe über alles gelegt.
Auf Höhe des alten Weidetores standen drei Leute der Bürgerwehr, die Lina nicht kannte, in ihrer Schützenuniform. Sie schienen alle, die die Altstadt verließen, zu kontrollieren. In einer Gasse erkannte sie den Sergeanten Ebel mit einem Polizeidiener, in einer anderen herrschte helle Aufregung, mehrere aufreizend gekleidete und grellgeschminkte Frauen standen auf der Straße, dazwischen ein paar Männer, von denen einer noch in seine Hosen stieg.
Die ganze Kleine Straße entlang, wo es viele Wohnhäuser gab, in denen ganze Familien in einem Zimmer hausten, standen Menschen auf der Straße und sprachen aufgeregt miteinander.
«Was ist denn heute los?», fragte Lina Frau Erbling, als sie das Haus betrat.
«Die Polizei sucht jemanden. Sie gehen in jedes Haus, sogar hier sind sie gewesen, aber gleich wieder gegangen.» Frau Erbling wirkte noch ein wenig erschüttert, die Polizei im Hause gehabt zu haben, so kurz es auch gewesen sein mochte.
Ihr Mädchen nahm Lina ihren Schal, den Hut und den Stock ab, dann stiegen sie und die Hausherrin hinauf in die erste Etage, denn unten befand sich neben der Praxis des Doktors nur die Küche.
Der Salon der Erblings war klein, aber gemütlich eingerichtet. Lina war erstaunt, dass sie nicht die einzige Besucherin war. Auf dem Sofa saß eine kleine hagere Frau mit einer auffallend spitzen Nase. Vor ihr auf dem Tisch lagen ausgebreitet Spielkarten, Lina dachte zunächst, sie hätte eine besonders komplizierte Patience gelegt, aber dann sah sie, dass dies keine üblichen Spielkarten waren: sie trugen bunte Bilder, die eigentliche
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