Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)
sich darauf geeinigt, dass Lina das Ballkleid änderte, ein neues Nachmittagskleid schneiderte und einige Alltagskleider ausbesserte. Die junge Frau zögerte zunächst, da Linas Vorschläge doch etwas teurer werden würden als geplant. Aber der Doktor war von Linas sparsamen Vorschlägen sehr angetan, er sah es selbst nicht gern, wenn er seine Frau knapphalten musste, und zeigte sich großzügig. Als Lohn hatte Lina vierzehn Thaler vereinbart.
Modezeitschriften konnten sich die Erblings nicht leisten, und Lina erinnerte sich daran, dass Jutta Wienhold ihr zutraute, die Kleider auch selbst zu entwerfen. Auch wenn es Lina im Moment um das Geld leidtat, sie beschloss, auf dem Rückweg bei Brendow ein paar große Papierbögen zu erstehen, auf denen sie Entwürfe skizzieren könnte. Für eine Sekunde liebäugelte sie mit dem Aquarellkasten, der dort angeboten wurde, aber der war ihr dann doch zu teuer. Bis es zu dunkel dafür wurde, saß sie an ihrem Tisch und skizzierte Ideen.
Ende der zweiten Maiwoche hatte seit langer Zeit die Helena wieder in Ruhrorts Hafen angelegt. Wie angeordnet meldete der Hafenmeister dies der Polizei. Borghoff ließ Fremde Fremde sein und durchsuchte gemeinsam mit Ebel und einem Polizeidiener das Schiff.
«Eck wied, dat ihr min Jung söcht», sagte der Drömmer in breitestem Ruhrorter Platt. Hilflos sah Borghoff Ebel an, der übersetzte.
«Er sagt, er weiß, dass wir seinen Jungen suchen. Aber der sei seit November nicht mehr auf dem Schiff gewesen. Aber wir wissen ja, dass er lügt.» Ebel spielte auf die Aussage eines entlassenen Bootsjungen an, der im Februar ausgesagt hatte, dass Gerd Drömmer die ganzen Monate bis Ende Januar mitgefahren und dann gegen den Willen seines Vaters ausgerechnet in Ruhrort an Land gegangen war. Das Schiff lag dort ein paar Tage wegen des Eises fest und den Jungen hatte es nicht mehr an Bord gehalten.
«Na ja», räumte Drömmer ein, der Ebels Hochdeutsch sehr wohl verstanden hatte. «Dat stimmt, aber seit Februar hab ich ihn nich mehr gesehen. Dat tu ich schwörn.»
«Besser nicht», sagte Borghoff und beendete die Durchsuchung. Er stellte aber einen Polizeidiener ab, die Helena im Auge zu behalten. Leicht schwachsinnig, wie der junge Drömmer war, konnte es sein, dass er seinen Vater aufsuchte. Und ein glücklicher Umstand hatte es gefügt, dass das Schiff eine Weile in Ruhrort festlag, weil es dringende Reparaturen gab.
Am 20. Mai wurde ein Stück den Rhein hinunter nahe des Dorfes Beeck, das zu Holten gehörte, eine Frauenleiche angespült. Es war Staatsanwalt Rocholl zu verdanken, dass Commissar Borghoff überhaupt davon erfuhr. Der Staatsanwalt holte ihn persönlich in Ruhrort ab, um mit ihm nach Beeck zu fahren.
Mangels anderer kühler Örtlichkeiten hatte man die Leiche in den Keller der Kirche gebracht. Der Holtener Arzt, der zur Leichenschau angereist war, wirkte ziemlich erschüttert, was mehr mit dem Anblick als mit dem Geruch der schon länger im Wasser treibenden Leiche zu tun hatte. Er sollte sie anschließend obduzieren, aber man hatte noch auf die Besucher aus Duisburg und Ruhrort gewartet.
Borghoff presste sein Taschentuch auf Mund und Nase, als er mit dem Staatsanwalt in den Kirchenkeller stieg. Er hatte schon geahnt, was ihn erwartete, und sah, als er das Tuch über der aufgedunsenen Leiche wegzog, seine Vermutungen bestätigt: der jungen blonden Frau war der Brustkorb aufgebrochen und ein tiefer Schnitt in den Bauch beigebracht worden. Entlang des Schnittes trug sie viele Spuren von Fischfraß.
«Ich habe zwei Aale herausgezogen», bemerkte der Doktor.
Staatsanwalt Rocholl schien es schwerzufallen, ein Würgen zu unterdrücken. Borghoff schlug das Tuch wieder über die Leiche. «Ich habe genug gesehen», sagte er.
Der junge Staatsanwalt sah ihn dankbar an und folgte ihm nach oben zurück in die Kirche. «War das die Kleine, die in Duisburg verschwunden ist?», fragte Borghoff ihn.
Der Staatsanwalt, der erst einmal tief durchgeatmet hatte, nickte. «Heinens Beschreibung nach ist sie es. Soweit man das erkennen konnte.»
«Kein schöner Anblick, so eine Wasserleiche», sagte Borghoff. Auch wenn er erst kurze Zeit in Ruhrort Dienst tat, hatte er schon viele gesehen, meist irgendwelche unglücklichen Schiffer, die betrunken in den Rhein oder den Hafen gestürzt waren.
«Wie lange lag sie Ihrer Erfahrung nach im Wasser?», fragte Rocholl.
«Zwei bis drei Wochen wahrscheinlich. Mein Sergeant meinte, das sei nicht unüblich, dass
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