Das Rote Palais - Die Totenwächterin / Der Gottvampir / Die Schattenpforte: Special-eBook-Edition Trilogie (German Edition)
die Baustelle auf der Rückseite des Haup t bahnhofs. Ein Bagger ruhte mit hängender Schaufel neben ihnen auf einem Sandhügel. Ein paar Autofahrer hatten das verlassene Gelände zum ko s tenlosen Parkplatz umfunktioniert. Niemand wusste genau, was die Stadt im Rahmen der Teilsanierungen für diesen Ort vorgesehen hatte. In Leyla verursachte das kahle Gelände ein bekle m mendes Gefühl. Eine Straßenbahn brauste neben ihnen vorbei in Richtung Hauptbahnhof und holte sie endgültig in die Realität. Einzelne Fahrgäste blic k ten mit leeren Augen aus dem Fenster über den verlassenen Bauplatz, wobei ihre Blicke durch das eng umschlungene Paar hindurchgingen. Zumindest wus s te Leyla, wo sie sich befanden. Warum sie hier gelandet waren und nicht in ihren Körpern, war ihr alle r dings schleierhaft.
„Weil es die Mitte ist“, kam Rudgers Antwort auf ihre unausgespr o chenen Frage.
Leyla blinzelte. Einen Moment versuchte sie, seine Aussage zuzuordnen. Als es ihr ei n fiel, musste sie lachen. In der Tat, alles war wieder normal. Fast zumindest. Rudger las schlicht ihre Gedanken, wenn sie zu lange schwieg und beantwortete ungestellte Fragen.
„Welche Mitte?“
Der zunehmende Schwindel schien ihre Aufnahmefähigkeit zu beeinträchtigen. Es fiel ihr schwer, sich zu konzentrieren.
Er deutete mit dem Kopf in die Richtung hinter Leyla. „Die Entfernung zwischen uns e ren Körpern ist von hier aus exakt gleich. Dort drüben liegt das Krankenhaus, in dem Kilian hoffentlich gewissenhaft über deinen Kö r per wacht, und hinter mir …“
„Liegt das Aurodom“, setzte Leyla fort. „Wo Konrad deinem Körper vermutlich gerade die Letzte Ölung verpasst.“
„Richtig“, sagte er lächelnd. „Normalerweise gelangen Vampire nach dem Übergang direkt in ihre Körper. Wir waren aber zu zweit.“
Er zog eine Augenbraue hoch. Dabei sah er so sexy aus, dass Leyla bedauerte, sich so elend zu fühlen. Wenigstens funktionierten ihre nied e ren Instinkte noch.
„Die Unendlichkeit handelt also logisch und hat uns hier abgestellt, weil jeder von uns nun denselben Weg vor sich hat.“ Bei den letzten Worten ging Leyla die Puste aus, wie bei einer Schwerkranken, die Mühe mit dem Sprechen hat.
Rudger stützte sie, als ihre Knie plötzlich einknickten. „So sieht es aus, aber du musst jetzt schleunigst zurück in deinen Körper. Die Atmosphäre hier ist nicht gerade günstig für den As t ralkörper.“
Unbestreitbar, ihr Astralleib fühlte sich feinstofflicher an, als ihr lieb war. A n scheinend hatte ihr Seelenfahrzeug ein paar Beulen abbeko m men.
„Du weißt, wie das geht?“ Seine Stimme schien sich langsam von ihr zu entfernen, o b wohl sein Mund nah an ihrem Ohr war.
Sie nickte, weil in ihrer Kehle ein Vlies zu wachsen schien, das sie am Sprechen hinderte. Augen zu und durch, lautete der ment a le Befehl, um das Steuergerät dieser Reiseform zu bedienen. Ihre Gedanken brachten sie zum Zielort.
„Ich liebe dich“, hauchte sie, kurz bevor sie die Augen schloss. Ein Gefühl des Gelöstseins erfasste sie so schnell wie die Wi r kung einer Vollnarkose. Eben hatte man sich noch vorgenommen, rückwärts von zehn bis eins zu zählen, um dann nicht mal die acht zu erreichen. Sehnsucht erfül l te sie wie ein heller Strahl. Pure Glückseligkeit wies ihr den Weg dorthin, wo sie hingehörte. In ihren Körper.
Leyla riss die Augen auf und starrte auf die weiße Styropordecke des Krankenzi m mers. Obwohl das Licht der Neonröhre blendete, wollte sie um nichts in der Welt die Augen wieder schließen. Nur ein kurzes Blinzeln erlaubte sie sich. Hinter ihr drang das rhyt h mische Piepsen des Elektrokardiogramms in ihr Bewusstsein. Das erste Geräusch der Wirklichkeit. Nervig und doch ung e mein erleichternd.
Ein Widerstand hinderte sie, ihre Hand zu heben. Sofort keimte Unr u he in ihr auf. War etwas schiefgegangen? Sie zog fester und hätte sich beinahe selbst geschlagen, als ihre rechte Hand ruckartig vor ihr auftauchte. Voller Genugtuung betrac h tete sie die Haut an ihren Armen, ballte die Finger zur Faust, bohrte ihre Nägel in die Innenfl ä che ihrer Hand. Etwas lief warm und feucht an ihrem Arm hinab. Aber das störte sie nicht, weil es sich herrlich real anfühlte.
„Bleiben Sie ruhig liegen. Meine Güte, Sie haben sich die Infusionsnadel aus dem Arm geri s sen.“ Die weibliche Stimme schrillte in Leylas Ohren. „Dr. Kilian! Sie ist aufgewacht.“
Im nächsten Moment erschien das Gesicht Dr. Kilians über ihr.
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