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Das rote Zimmer

Titel: Das rote Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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Kopfverletzungen ist«, meinte Oban und ließ seinen Blick über den Raum schweifen. »Das blutet immer sehr stark, nicht?«
    Ich bemühte mich um eine möglichst sachliche Sichtweise, musste aber ständig daran denken, wie lästig und abstoßend ich Doll gestern Abend gefunden hatte.
    Nun war sein ganzes widerliches Drängen auf dieses unglückliche Bündel dort am Boden reduziert. Ich hatte ihn mit einer Art Fluch belegt. Ich hatte mir gewünscht, er möge für immer aus meinem Leben verschwinden. Hatte ich mir seinen Tod gewünscht?
    »Sehen Sie sich das an«, sagte Oban.
    Er hielt mir eine Klarsichthülle mit einem Blatt Papier vor die Nase. Auf dem Blatt prangten in groben Großbuchstaben zwei Worte: MÖRDERISCHER
    BASTAD.
    »Das lag auf der Leiche«, erklärte er. »Sehen Sie sich das an. Die können nicht mal das Wort ›Bastard‹ richtig schreiben.«
    »Dann haben sie ihn also doch noch gekriegt«, stellte ich fest.
    Oban nickte. »Was für ein Saustall!«, meinte er. »Sie waren schon mal hier?«
    »Ja.«
    »Ich dachte mir, dass es vielleicht hilfreich ist, wenn Sie sich das ansehen. Lassen Sie sich Zeit, so lange Sie wollen. Oder so kurz.«
    Ich hatte weiche Knie und wollte mich auf die Armlehne eines Sessels setzen, aber ein Mann trat vor und hielt mich zurück. Ich entschuldigte mich.
    »Was für eine Sauerei!«, wiederholte Oban noch einmal.
    »Es sieht aus wie ein Schlachthaus in einem Museum.«
    »Michael Doll war ein Sammler«, erklärte ich. Plötzlich hatte ich das Gefühl, mich übergeben zu müssen. Ich schluckte heftig und atmete dann flach durch den Mund.
    Oban zog eine Grimasse. »Wirklich? Was hat er denn gesammelt?«
    »Alles, was ihm unterkam, was er tragen konnte. Zeug vom Kanal. Das war fast schon krankhaft.«
    »Die Leute, die das hier entsorgen müssen, beneide ich jedenfalls nicht …« Den Rest des Satzes hörte ich nicht mehr, weil ich auf der anderen Seite des Raums plötzlich etwas entdeckt hatte. Nachdem ich vorsichtig um Dolls Leichnam herumgegangen war, trat ich auf ein Regal zu und streckte die Hand danach aus. Es stand zwischen einem Marmeladenglas und einer Rolle rostigen Drahts.
    Jemand rief etwas, und ich spürte, wie eine Hand mich zurückriss.
    »Nicht anfassen!«, mahnte mich eine Stimme.
    »Das!« Ich deutete darauf. »Das da!«
    Der Mann trug Handschuhe. Er beugte sich vor und nahm sie ganz vorsichtig hoch.
    »Was ist das?«, fragte Oban.
    »Wofür halten Sie es denn?«, gab ich zurück.
    »Für eine Schnabeltasse, wie man sie Kleinkindern gibt.
    Was steht da?«
    »Emily.«
    Er starrte mich verblüfft an. »Sie wollen mir doch wohl nicht erzählen, dass Doll eine Tochter namens Emily hatte?«
    »Nein«, entgegnete ich. »Aber Philippa Burton.«

    38. KAPITEL
    »Geht’s?«, fragte Oban, als wir auf seinen Wagen zusteuerten. Das Grüppchen, das vorher gaffend auf dem Gehsteig gestanden hatte, war inzwischen zu einer kleinen Menschenmenge angewachsen.
    »Ja«, antwortete ich mit fester Stimme und lächelte. Ich zitterte nicht, meine Stimme klang gelassen, mein Atem ging ruhig. Ich kurbelte das Fenster herunter und ließ mir den warmen Wind ins Gesicht blasen.
    »Unglaublich, nicht wahr?« Sein Gesicht hatte wieder seinen normalen Ausdruck angenommen, seine Stimme klang jovial, fast fröhlich. So wach und zugleich entspannt hatte er schon seit Wochen nicht mehr gewirkt.
    »Ja.«
    »Harter Job für die Jungs von der Spurensicherung. Ein Albtraum. Trotzdem können die Leute, die das getan haben, mit einer Menge Sympathie rechnen. Eindeutiger Fall von Selbstjustiz. Da brauchen wir bei der Pressekonferenz viel Fingerspitzengefühl.«
    Ich schloss für eine Minute die Augen und dachte an Dolls breiige Überreste, das Meer aus Blut. Überall Blut, ein ganzes Zimmer, dunkelrot vor Blut.
    »Damit hat sich der Kreis geschlossen, Kit.«
    »Was?«
    »Es war doch Doll. Trotz allem.«
    Ich antwortete mit einem unverbindlichen Laut und starrte aus dem offenen Fenster. Der Himmel war blau und wolkenlos, die Sonne golden, die Leute auf der Straße farbenfroh gekleidet.

    »Nun kommen Sie schon, Kit. Jetzt können Sie endlich einen Schlussstrich unter die Sache ziehen. Es ist vorbei, geben Sie es zu.«
    »Nun, ja …«
    »Lassen Sie mich raten. Sie sind noch immer nicht überzeugt. Mein Gott, wir haben Emilys Tasse mit ihrem Namen drauf in Dolls Zimmer gefunden – natürlich müssen wir uns das von Mr. Burton noch bestätigen lassen, aber ich glaube, das ist nur noch eine Formalität,

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