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Das rote Zimmer

Titel: Das rote Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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unternommen und sich mehrfach selbst Verletzungen zugefügt hatte, war ihr Fall bisher im Eingangsstapel hängen geblieben. Spätestens wenn man öffentliche Gebäude in Brand steckt, bekommt man die Aufmerksamkeit, die einem vorher versagt blieb.
    Es klopfte, und die Tür wurde geöffnet. Es war die Dame vom Klinikempfang. »Telefon für Sie«, sagte sie.
    Ich starrte sie ungläubig an.
    »Ich rufe später zurück.«
    »Es ist jemand von der Polizei. Er hat gesagt, er habe es schon auf Ihrem Handy versucht.«
    »Das ist ausgeschaltet. Sagen Sie ihm, ich rufe ihn gleich zurück.«
    »Er hat gesagt, ich soll Sie holen, egal, wo Sie gerade sind. Er ist noch am Apparat.«
    Nachdem ich mich bei allen vielmals entschuldigt hatte, eilte ich im Laufschritt den Gang entlang und griff nach dem Telefon. »Wenn das jetzt nicht wirklich wichtig ist, dann …«
    »Doll ist tot.«
    »Was?«
    »In seiner Wohnung. Wir treffen uns dort.«

    Bei meinen früheren Besuchen bei Doll hatte ich seine Wohnung als das schmutzige, trostlose Zuhause eines seltsamen und einsamen Mannes empfunden. Doll schien mir der Typ Mensch zu sein, der niemandem auffiel, solange er lebte, und dessen Tod ebenfalls keiner mitbekommen würde. Das hatte sich inzwischen geändert.
    Er war berühmt geworden. Vor der Tür standen drei Polizei- und ein Krankenwagen, weitere Fahrzeuge parkten in zweiter Reihe. Der Bereich rund um den Hauseingang war abgesperrt. Zwei Polizeibeamte standen vor der Tür, und hinter der Absperrung hatte sich eine kleine Gruppe von Leuten versammelt, die an einem normalen Wochentag in Hackney offenbar nichts Besseres zu tun hatte.
    Entschuldigende Worte vor mich hinmurmelnd, bahnte ich mir einen Weg, und als ich auf die Polizisten zuging, sah ich, wie mich eine ältere, mit fahrbaren Einkaufskörben bewaffnete Frau mit ungewohntem Interesse musterte. Für wen ich wohl arbeitete? Für die Polizei? Ein Bestattungsunternehmen? Nachdem einer der Beamten hineingegangen war, hörte ich jemanden etwas rufen, und ein paar Augenblicke später tauchte Oban auf.
    Er wirkte mehr als geschockt und ziemlich grün im Gesicht. Ich hörte mich mit besorgter Stimme fragen, wie es ihm gehe.
    »Lieber Himmel!«, sagte er mit leiser Stimme. »Das ist unglaublich. Eine gottverdammte Sauerei. Sie müssen meine Ausdrucksweise entschuldigen.« Er warf einen schuldbewussten Blick zu der alten Frau hinüber.
    »Was ist passiert?«, wollte ich wissen.
    »Die Jungs von der Spurensicherung fangen gerade erst an«, antwortete er. »Ich wollte, dass Sie einen raschen Blick auf das Schlamassel werfen. Damit Sie es gesehen haben, bevor sie ihn wegbringen. Meinen Sie, Sie schaffen das?«
    »Ich glaube schon.« Ich schluckte.
    »Es ist kein schöner Anblick.«
    Ich musste mir Dinger über die Schuhe ziehen, die aussahen wie kleine Haarnetze. Oban bat mich, nichts anzufassen. Der Aufstieg zu Dolls Wohnung gestaltete sich ein wenig beschwerlich, weil die Treppe mit einer Art Laken abgedeckt war. Am Treppenabsatz forderte mich Oban auf, tief durchzuatmen. Dann schob er die Tür auf und tat einen Schritt zur Seite, um mich als Erste eintreten zu lassen.
    Die Leiche lag mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden – bloß dass sie kein Gesicht mehr hatte. Es sah aus wie ein Bild, bei dem der Kopf noch nicht fertig war. Ich erkannte die Klamotten vom Vorabend wieder. Seine Schuhsohlen wiesen in meine Richtung. Rechts war der Schnürsenkel aufgegangen. Braune Kordhose. Anorak.
    Darüber nur dunkle Feuchtigkeit. Ich wollte etwas sagen, aber mein Mund war so trocken, dass ich nichts herausbekam. Ich musste mehrmals schlucken.
    Plötzlich spürte ich eine Hand auf meiner Schulter.
    »Ganz ruhig, meine Liebe«, sagte Oban.
    »Wo ist sein Kopf?«, fragte ich mit einer Stimme, die ich nicht als die meine erkannte.
    »Im ganzen Zimmer verteilt«, antwortete Oban.
    »Wiederholte heftige Schläge mit einem sehr schweren, sehr stumpfen Gegenstand, die meisten nach Eintritt des Todes. Da hat sich jemand richtig ausgetobt. Deswegen sieht es hier auch so aus.«
    Ich blickte mich um. Es war das rote Zimmer. Das rote Zimmer aus meinen Albträumen. Bisher war er für mich nur eine Fantasie gewesen, ein Symbol, aber nun stand ich mittendrin. Wände und Zimmerdecke sahen aus, als hätte jemand mit einem Schlauch Blut verspritzt. An der Decke hingen dicke Klumpen, die aussahen, als würden sie jeden Moment herunterfallen, in Wirklichkeit aber schon geronnen waren.
    »Sie wissen ja, wie das bei

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