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Das rote Zimmer

Titel: Das rote Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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dass es vorbei ist und dass Doll keinen Schaden mehr anrichten kann.
    Aber ich verstehe nicht, wie das alles geschehen ist, nichts passt zusammen oder ergibt einen Sinn. Und deswegen fühle ich mich irgendwie …«
    »Frustriert?«, schlug Julie vor.
    »Mehr als das. Als hätte ich sie im Stich gelassen.
    Philippa und Lianne. Klingt ziemlich verrückt, was?«
    »Ja, allerdings. Du hast mir schon richtig Sorgen gemacht mit deiner …«
    »Heute bei der Pressekonferenz hat mich Oban entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten sehr gelobt. Er war richtig überschwänglich. Dabei komme ich mir vor wie eine Mogelpackung.«
    »Weshalb?«
    »Weil ich das Gefühl habe, ich hätte sie noch nicht wirklich zur Ruhe gebettet. Hört sich blöd an, stimmt’s?«
    »Sie sind tot, also ruhen sie schon. Die Hauptsache ist doch, dass ihr Mörder gefasst ist.«
    »Er ist tot.«
    »Oh.« Sie starrte mich irritiert an.
    »Ermordet von Mitgliedern irgendeiner Selbstschutzgruppe, die sich völlig im Recht fühlen werden, wenn sie erfahren, was er getan hat. Da kommt unser Essen.«
    Ich aß die ganze Schale Suppe aus. Sie war so scharf, dass ich glaubte, Stecknadeln zu verschlucken.
    Anschließend aß ich drei von den würzigen Klößchen. Ich kaute endlos auf ihnen herum und brachte den letzten nur mit Mühe hinunter.
    »Tut mir Leid, dass ich so fanatisch war.«
    »Das ist schon okay. Mich würde bloß noch interessieren, wie das mit Will Pavic weitergegangen ist.«
    »Ich denke, es ist vorbei.«
    »Wirklich? Das ging aber schnell. Andererseits ist es vielleicht besser so. Er war ein ziemlich grimmiger Typ, oder?«
    »Ich glaube, mich hat gerade das angesprochen.« Ich biss in meine Spareribs und spülte mit einem großen Schluck Wein nach. Dolls zu Brei geschlagenes Gesicht tauchte wieder vor meinen Augen auf, und dieser Raum voll von seinem Blut. Meinem Blut.
    »Warum hast du es dann beendet?«
    »Was? Oh, weil es einfach nicht mein Ding ist. Na ja, ich denke, ich sollte lieber versuchen, glücklich zu sein.«
    »Das hört sich gut an.«
    Ich spießte mit der Gabel einen Tintenfischring auf, der aussah wie Gummi. Oder wie ein Stück Eingeweide. Ich legte ihn zurück auf den Teller, starrte auf den beigefarbenen Reis und nahm dann einen Schluck Wein.
    Ich fühlte mich plötzlich sehr merkwürdig.
    »Ich muss dir etwas erzählen«, hörte ich Julie gerade durch den Nebel vor meinen Augen sagen.
    Ich blinzelte. »Was denn?«
    »Ich werde ausziehen.«

    »Ich weiß, du bist auf der Suche nach einer eigenen Wohnung.«
    »Nein, ich gehe wieder ins Ausland. Ich halte es hier einfach nicht aus, fühle mich wie in einer Falle. Ich will nicht mehr vor einer Schulklasse stehen, für eine Plattenfirma arbeiten oder jeden Tag in einem langweiligen Kostüm mit Strümpfen und Lederschuhen in einem Büro erscheinen. Klingt das für dich nach einer Frau, die mit dem wirklichen Leben nicht so ganz zurechtkommt?«
    »Ich habe noch nie was gegen das Aussteigen gehabt.«
    Meine Stimme schien von ganz weit her zu kommen.
    »Ich möchte auch bloß glücklich sein. Genau wie du.«
    Ich hob mein Glas. »Auf dein Glück.«
    »Nicht weinen, Kit! Wir können doch beide glücklich sein. Gleichzeitig.« Mit Tränen in den Augen kicherten wir einander zu. »Und weil du gerade so schön betrunken und sentimental bist«, fügte sie hinzu, »sollte ich dir vielleicht gleich noch beichten, dass ich mir dein schwarzes Samtkleid ausgeliehen habe, ohne dich zu fragen. Hinterher habe ich es zu heiß gewaschen, und nun sieht es ziemlich seltsam aus. Der Saum schlägt richtig Wellen. Tut mir Leid.«

    39. KAPITEL
    Am nächsten Morgen weckte mich das Geräusch des Windes, der mit lautem Tosen durch die Bäume fuhr und die Fenster erzittern ließ. Einen schrecklichen Moment lang konnte ich mich an gar nichts erinnern: nicht, welchen Tag wir hatten, wo ich war oder wer ich war. In meinem Kopf herrschte völlige Leere. Ich lag da und wartete, dass sich das Vakuum wieder mit Erinnerungen füllte. Und tatsächlich begannen sie kurz darauf hereinzufluten: Als Erstes sah ich Doll vor mir, wie er ohne Gesicht in seinem eigenen Blut lag, um ihn herum die blutverschmierten Wände. Eine Folterkammer. Dann Doll mit Gesicht, den Arm erhoben, das gezackte Porzellan in der Hand, das in alle Richtungen spritzende Blut, das diesmal das meine war. Fest gegen das Kissen gepresst, lag ich mit offenen Augen da, sah aber trotzdem die Bilder in meinem Kopf. Ich hatte das Gefühl, als wäre ich all die

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