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Das rote Zimmer

Titel: Das rote Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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spürte ich, wie er sich entspannte. Am liebsten hätte ich ihn mit nach Hause genommen, ihm den Nacken massiert, ein Bad für ihn eingelassen, ihm etwas gekocht, ihn zum Lächeln gebracht, ihn festgehalten und geküsst – nicht, um Sex mit ihm zu haben, sondern um seine Nähe zu spüren, zu fühlen, dass man in dieser kalten Welt jemanden neben sich hatte. Aber er würde das nie zulassen. Nicht auf diese Weise.
    »Hier steht mein Wagen. Ich fahre dich nach Hause.«

    Er widersetzte sich nicht. Ich öffnete die Beifahrertür und schob ihn hinein. Er sah mich an und schien etwas sagen zu wollen, überlegte es sich dann aber anders. Ich fuhr die Strecke schweigend und setzte ihn vor seiner Haustür ab. Im Rückspiegel sah ich, dass er noch immer dastand wie ein Fremder, der nicht wusste, wo er war. Er wirkte so einsam und verloren.

    Ich rief Poppy an. Sie begrüßte mich ziemlich kühl.
    »Was ist los?«, fragte ich.
    »Nichts«, antwortete sie in beleidigtem Ton, fügte dann aber hinzu: »Ich habe dich nur immer wieder angerufen und bei dieser Julie Nachrichten für dich hinterlassen, aber du hast es nie der Mühe wert gefunden, mich zurückzurufen.«
    »Es tut mir Leid«, sagte ich. »Ich hatte so viel zu tun.«
    »Schön für dich. Aber man kann Menschen nicht einfach so auf Eis legen.«
    »Oh, Poppy, es tut mir wirklich Leid. Soll ich bei dir vorbeikommen?«
    »Nein. Seb und ich gehen was trinken. Wir wollen uns aussprechen – nicht, dass es was helfen wird.« Sie lachte bitter.
    »Was ist los? Habt ihr Probleme?«
    »Ach, du weißt schon, das Übliche. Erfolgreicher Mann und Heimchen am Herd.«
    »Du meinst …«
    »Ich weiß nicht, Kit. Lass uns später darüber reden, ja?
    Ich muss unbedingt noch ein bisschen Make-up auflegen.
    Ich sehe zur Zeit aus wie eine hässliche, alte Matrone.«
    »Aber nein!«

    »Doch. So ist es nun mal.«
    »Nein, das stimmt nicht. Du siehst gut aus.«
    »Sei nicht albern. Ich passe in keins von meinen Kleidern mehr rein.«
    »Nein, ich meine das ehrlich. Du bist eine hübsche, wundervolle Frau, und dein Mann weiß gar nicht, was für ein Glückspilz er ist.«
    Sie schniefte. »Tut mir Leid, dass ich so unfreundlich zu dir war.«
    »Nein, mir tut es Leid.«

    Ich setzte einen Topf Nudelwasser auf. Viel schöner hätte ich es gefunden, mich auf mein Sofa zu setzen und jemanden zu haben, der mir Tee und Gebäck servierte, mich ein bisschen verwöhnte, sich um mich kümmerte.
    Einen Moment lang gestattete ich mir, dem Traum nachzuhängen, meine Mutter würde kommen, mir übers Haar streicheln und zu mir sagen, ich könne mich jetzt ausruhen. Die Beisetzung hatte mich emotional sehr mitgenommen, ich fühlte mich ganz schwach und zittrig.
    Ich musste wieder daran denken, wie Liannes Sarg seinen Weg in die Flammen angetreten hatte. Ich stellte mir Poppy vor, wie sie verzweifelt vor dem großen Spiegel in ihrem Zimmer stand, ein Kleid nach dem anderen anprobierte und voller Enttäuschung auf ihr Spiegelbild starrte. Dann stellte ich mir Will vor, ganz allein in seinem leeren Haus.
    Plötzlich hielt ich es nicht mehr aus. Ich schlüpfte in meine Wildlederjacke und rannte zum Wagen. Ich fuhr sehr schnell, schimpfte über jede rote Ampel. Als er mir die Tür öffnete, trug er noch immer seinen schwarzen Anzug. Er trat zur Seite, um mich hereinzulassen. Ich führte ihn zum Sofa, zwang ihn mit sanfter Gewalt zum Hinsetzen und ließ mich neben ihm nieder, nahm seine kalten Hände zwischen meine und wärmte sie. Dann öffnete ich die obersten Knöpfe seines Hemds und zog ihm seine steifen schwarzen Schuhe aus.
    »Ich mache dir eine Tasse Tee.« Er erhob keinen Widerspruch.
    In der Küche toastete ich zwei Scheiben Brot und bestrich sie mit der Marmelade im Kühlschrank.
    »Du bemutterst mich ja richtig«, stellte er fest, biss aber trotzdem ein großes Stück Toast ab.
    Ich fragte ihn nicht, warum er so traurig gewesen war, sah ihm bloß zu, wie er den Toast aß und den Tee trank.
    Dann führte ich ihn nach oben, zog ihn wie ein Kind aus, setzte mich neben ihn aufs Bett und streichelte seinen stacheligen Kopf. Als er schließlich die Augen schloss, nahm ich meine Hand weg.
    »Ich schlafe nicht«, sagte er leise.
    »Ich wollte nur, dass es dir gut geht.«
    »Ja, ja. Du solltest dir nicht so viele Sorgen um andere machen, Kit.«
    »Ich kann nichts dagegen tun.«
    »Aha.« Ich spürte, wie er mir entglitt. »Denke mehr an dich selbst.«
    »Warum?«
    »Als gute Ärztin solltest du das eigentlich

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