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Das rote Zimmer

Titel: Das rote Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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mit ernster Miene an und legte die Hand auf Liannes schlichten Sarg, aber bevor er etwas sagen konnte, wurde es hinter uns laut.
    Ich blickte mich um und sah vier junge Leute mit verlegener Miene den Raum betreten. Ich erkannte sie sofort wieder, obwohl sie ganz anders gekleidet waren.
    Alle vier trugen merkwürdige schwarze Klamotten, die sie sich wahrscheinlich von Freunden ausgeliehen hatten. Da war Sylvia mit den grünen Augen, Carla, das schüchterne schwarze Mädchen, das Lianne als Letzte aus der Gruppe lebend gesehen hatte, Spike mit dem geschorenen Schädel und der haarige Laurie. Jeder von ihnen hatte einen Blumenstrauß in der Hand, auch wenn der von Sylvia aussah, als hätte sie ihn im Vorbeigehen aus einem Vorgarten gerupft. Carla hatte langstielige, wächserne Lilien dabei, die bestimmt eine Menge gekostet hatten und so stark dufteten, dass ich sie von meinem Platz aus riechen konnte. Ich lächelte den vieren zu, aber sie lächelten nicht zurück. Vielleicht erinnerten sie sich nicht an mich. Sie wirkten noch immer sehr verlegen, und Spike stupste Laurie kichernd in die Seite, als sie nach vorn zu dem Sarg schlurften und ihre Blumen neben meine legten.
    Dann setzten sie sich in die Bank uns gegenüber.
    Die Beisetzung begann. Wenigstens tat der Kaplan nicht so, als hätte er Lianne gekannt oder könnte etwas über sie sagen, sondern beschränkte sich darauf, rasch das erforderliche Ritual hinter sich zu bringen. Als er etwa bei der Hälfte angelangt war, hatte ich mit einem Mal das Gefühl, als würde mich jemand anstarren, und drehte mich um. Ich spürte einen leichten Stich in der Brust. Er war da.
    Will. In seinem strengen, schwarzen Anzug erinnerte er mich mehr denn je an eine Krähe. Er saß ganz hinten, die Arme vor der Brust verschränkt, und musterte mich. Nein, das stimmte nicht, er starrte durch mich hindurch, als wäre ich gar nicht da. In seinem hageren, stoppeligen Gesicht wirkten seine Augen wie Höhlen. Sein Haar war frisch geschoren, und ich konnte eine kleine weiße Narbe auf seiner Kopfhaut erkennen. Ich wandte mich wieder nach vorne, hatte aber das Gefühl, als würde mir sein Blick ein Loch in den Nacken brennen.
    Als der Sarg davonglitt, stellte ich mir Liannes Körper vor, der nun gleich verbrennen würde. Aus dem Kühlschrank ins Feuer. Ich sah ihr liebes, kleines Gesicht, ihre abgekauten Nägel, ihr Herz-Medaillon: »Beste …«
    Ich spürte, wie mir die Tränen in die Augen traten. Auf der anderen Seite des Ganges hörte ich jemanden schluchzen. Als ich hinübersah, stellte ich fest, dass es nicht eines der Mädchen war, sondern Laurie. Laurie, der einmal von Lianne geküsst worden war. Die schüchterne Carla hielt seine Hand. Spike starrte auf seine großen, schwarzen Stiefel hinunter, sodass ich sein Gesicht nicht sehen konnte. Nur Sylvia blickte mit ihren ruhigen, meergrünen Augen nach vorn.
    Die Musik vom Band setzte wieder ein, und wir erhoben uns. Will saß noch immer in der letzten Bank. Sein Blick war auf die Stelle gerichtet, wo eben noch der Sarg gestanden hatte. Ich dachte, dass ihn das Ganze ziemlich kalt ließ, aber dann sah ich plötzlich, dass sein Gesicht tränennass war. Er machte sich nicht die Mühe, sie wegzuwischen oder zu verbergen. Ich ging auf ihn zu und streckte ihm die Hand entgegen. »Komm«, sagte ich. Er sah mich an, als wäre ich eine Fremde. »Komm schon, gleich beginnt die nächste Beisetzung.« Blinzelnd schob ich ihn ins Sonnenlicht hinaus. Seine Hand war kalt, und er bewegte sich steif.
    »Geht es dir nicht gut, Will?«
    Er gab keine Antwort, sah mich aber endlich mit seinen tränennassen Augen an. Ich wischte ihm mit einem Taschentuch das Gesicht ab. Er stand reglos da und ließ es geschehen. Ich legte ihm eine Hand auf die Schulter, hatte dabei aber das Gefühl, ein Brett zu berühren. »Will? Will, soll ich dich nach Hause fahren?«
    »Nein.« Er entzog mir seinen Arm.
    »Wo steht dein Wagen?«
    »Ich bin zu Fuß da«, stieß er hervor. Er wirkte benommen, als hätte ihm jemand einen Schlag versetzt.
    »Lass mich dir helfen.«
    »Ich brauche keine Hilfe.«
    Ich betrachtete sein verschlossenes Gesicht, seine Verzweiflung, und die alte Zärtlichkeit stieg wieder in mir auf. Er brauchte mehr Hilfe als sonst ein Mensch, den ich kannte.
    »Komm«, sagte ich und schob meinen Arm unter seinen.
    »Wir gehen ein Stück.«
    Schweigend ließen wir das Krematorium hinter uns. Er ging, wohin ich ihn führte, war völlig abwesend. Nach einer Weile aber

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