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Das rote Zimmer

Titel: Das rote Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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lautem Gelächter quittiert. Er lief knallrot an und schaute verblüfft, als sie aus der Innenseite seiner Jackentasche ein Ei herauszog.
    Ich fand das Ganze großartig – nicht zuletzt deshalb, weil es mir auf seltsame Weise Gelegenheit zum Nachdenken bot. Ich ging die Ereignisse der letzten Monate im Geist noch einmal durch und versuchte eine Ordnung hineinzubringen, natürlich ohne Erfolg, aber inmitten dieser fröhlichen Menschenmenge erschien mir das gar nicht so schlimm.
    In der Pause verschwanden die Künstler nicht in ihre Garderoben, sondern wanderten herum, stellten sich den Leuten vor und plauderten mit ihnen. Oban und ich sprachen mit einem der Jongleure, einem Akkordeonspieler und einer Gruppe von Kindern, die die nahe gelegene Grundschule besuchten. Als Oban schließlich in hoffnungsvollem Ton vorschlug, ein wenig mit der jungen Frau hinter der Bar zu sprechen, gingen wir ins so genannte Foyer hinaus, das in Wirklichkeit nur ein weiterer Bereich der alten Lagerhalle war. Oban lud mich auf einen Gin Tonic ein und gönnte sich selbst noch einen doppelten Scotch. Das Mädchen, das ihn bediente, war noch im Teenageralter. Sie hatte sehr kurzes, blond gefärbtes Haar und jede Menge Piercings, an den Ohren, der Nase, der Unterlippe. Ich fragte sie, wie lange sie schon an der Theaterbar arbeite.
    »Ein paar Wochen«, antwortete sie.
    »Sind Sie von hier?«
    »Hmm.«
    »Es muss schön sein, solch einen Ort in der Nähe zu haben.«
    »Hmm.« Als ein Mann hinter mir in ziemlich barschem Ton eine Flasche mexikanisches Bier bestellte, räumten wir das Feld.
    »Prost!«, sagte ich zu Oban, und wir stießen an. »Mit diesem Theater tut Gabe wirklich was für die Leute hier«, stellte ich fest. »Irgendwie kommt es mir fast ein bisschen vor wie Will Pavics Jugendhaus.«
    Oban nippte mit sichtlichem Genuss an seinem Drink.
    »Ich glaube, er macht das ein bisschen besser als Will Pavic«, meinte er. »Diese Show ist zwar nicht so ganz mein Ding, ich habe lieber eine richtige Handlung, das meiste habe ich nicht kapiert, aber ich sehe durchaus, dass es gut gemacht ist. Ja hallo, schauen Sie mal, wen wir da haben!«
    Er nickte in eine bestimmte Richtung, und als ich mich umdrehte, sah ich Gabe Teale, im Gespräch mit einem sehr trendy aussehenden jungen Paar. »Lassen Sie uns zu ihm rübergehen«, schlug ich vor.
    »Er sieht recht beschäftigt aus.«
    »Dann stören wir ihn eben ein bisschen.«
    Nachdem wir uns einen Weg durch die Menge gebahnt hatten, stupste ich Gabriel am Arm. Er wandte den Kopf und zuckte erschrocken zusammen, was ja nicht weiter verwunderlich war. »Überraschung, Überraschung!«, sagte ich.
    »In der Tat«, erwiderte er.
    Er stellte uns den beiden Leuten vor, mit denen er gerade sprach. Ich bekam ihre Namen nicht richtig mit, aber das war nicht weiter schlimm, denn nachdem uns die beiden einen Moment lang neugierig gemustert hatten, schlenderten sie zu einer anderen Gruppe von Leuten hinüber, die ebenfalls recht hip aussahen.
    »Sie haben uns wohl kein kulturelles Interesse zugetraut«, meinte ich.
    Er starrte uns an. Irgendetwas schien ihn ernstlich zu verwirren. Hielt er uns womöglich für ein Paar? Ob das wohl an mir lag? Egal, welch seltsamen Kauz ich an meiner Seite hatte, die Leute gingen anscheinend sofort davon aus, dass ich mit ihm zusammen war.
    »Nun ja …«, begann er.
    »Es ist fantastisch!«, sagte ich. »Was für eine ungewöhnliche Show! Mir war nicht klar, dass das so riesig ist und so viele Leute aus der Gegend hier arbeiten.«
    Hör auf zu plappern, Kit, ermahnte ich mich.
    »Dafür bin ich nicht allein verantwortlich«, entgegnete er.
    »Ich bin nur der künstlerische Leiter. Es gibt einen Vorstand und alle möglichen anderen wichtigen Leute.«

    »Sie sind zu bescheiden«, erwiderte ich. »Ist Bryony auch da?«
    »Sie arbeitet nicht hier«, antwortete er. »Sie ist zu Hause. Es geht ihr noch immer nicht besonders.«
    Einen Moment lang herrschte Schweigen.
    »Tja«, sagte ich dann, »Sie haben wahrscheinlich noch einiges zu tun.«
    »Ja«, antwortete er. »Ich muss mich tatsächlich noch um ein paar Dinge kümmern.«
    Wir reichten uns förmlich die Hand. Es war einer dieser seltsamen Abschiede, bei denen man im Grunde schon weiß, dass man sich kaum mehr Wiedersehen wird. Zwar hatten Gabriel und Bryony nicht gerade Auswanderungspläne, aber so, wie London nun mal war, würden wir uns wahrscheinlich nie wieder über den Weg laufen.
    Nachdem er gegangen war, sah Oban mich

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