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Das rote Zimmer

Titel: Das rote Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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zu retten. Das kannst du nicht.«
    »Ich weiß.«
    Sie schob ihr Gesicht noch näher an meines heran und wiederholte voller Nachdruck: »Du kannst keine Toten retten, Kit. Du kannst sie nicht wieder lebendig machen.
    Lass es sein!«

    45. KAPITEL
    Als ich noch ein Teenager war, ließ mich mein Vater immer ein großes Glas Milch trinken, bevor ich zu einer Party ging. Er sagte, das kleide den Magen aus. Ich hätte gestern ein Glas Milch trinken sollen, dachte ich, als ich am nächsten Morgen aufwachte. Das Licht, das durch meine halb zugezogenen Vorhänge hereinschien, tat meinen Augen weh, noch bevor ich sie geöffnet hatte, und mein Mund fühlte sich trocken an. Vorsichtig spähte ich auf den Wecker. Halb sieben. Ich würde mir noch fünf Minuten gönnen. Nur fünf, mehr nicht. Nie hatten sich mein Kissen so weich, meine Gliedmaßen und Augenlider so schwer angefühlt.
    Aus Julies Raum drang heftiges Schnarchen. Ich öffnete ein Auge. Zwanzig vor sieben. Als ich mich aufsetzte, hatte ich einen Moment das Gefühl, als würde mein Kopf gleich zerspringen, aber daraus wurde rasch ein leichtes, erträgliches Pochen. War doch gar nicht so schlimm. Ich ging ins Bad und klatschte mir kaltes Wasser ins Gesicht.
    Dann zog ich mich so schnell und leise wie möglich an.
    Bevor ich aufbrach, trank ich drei Glas Wasser. Ich lechzte nach starkem schwarzem Kaffee, wagte aber keinen zu machen, weil ich damit womöglich Julie aufgeweckt hätte. Sie würde wahrscheinlich die Tür absperren und den Schlüssel zum Fenster hinauswerfen, wenn sie mitbekäme, wo ich hinwollte. Aber ich hatte mir alles genau überlegt.
    Es war ein dunstiger Morgen. Die Häuser am Ende der Straße waren nur verschwommen zu erkennen, und die Autos fuhren mit Licht. Später würde es wahrscheinlich sonnig und warm werden, aber noch war es eisig kalt. Ich hätte eine Jacke mitnehmen oder statt meines dünnen Baumwollshirts einen Pulli anziehen sollen. Es herrschte schon relativ viel Verkehr. In London wird es nie ganz dunkel, nie ganz ruhig. Trotzdem schaffte ich es bis halb acht. Das war gut. Bestimmt standen Theaterdirektoren nie vor acht Uhr auf.
    Die Vorhänge im Haus der Teales waren alle noch zugezogen, und es schien nirgendwo Licht zu brennen.
    Gut. Ich versuchte es mir auf meinem Autositz bequem zu machen, da ich nicht wusste, wie lange ich hier würde sitzen müssen. Ich hätte mir wenigstens unterwegs eine Tasse Kaffee besorgen und etwas zu lesen kaufen sollen.
    Das Einzige, was ich hatte, war die Betriebsanleitung des Wagens und eine zehn Tage alte Zeitung. Ich las all die bereits wieder vergessenen Geschichten über ein Model hier und einen Krieg dort, einen toten Jungen und einen Internet-Millionär. Mir war kalt, und mein ganzer Körper fühlte sich steif an. Ich fuhr mir durchs Haar, drehte es im Nacken zu einem Knoten zusammen. Dann schaute ich in den Rückspiegel und zog beim Anblick meines verkaterten Gesichts angewidert eine Grimasse. Ich rutschte nervös auf meinem Platz herum. Die Vorhänge der Teales blieben geschlossen. Ich hätte doch länger schlafen können.
    Um Viertel vor neun ging oben ein Licht an. Mein Mund war trocken. Warum bin ich eigentlich hergekommen?
    Was um alles in der Welt mache ich hier?
    Um fünf vor neun wurde der Vorhang aufgezogen, und einen kurzen Moment sah ich Gabriel am Fenster stehen.
    Ich glitt ein Stück tiefer in den Sitz und spähte mit müden Augen zum Haus hinüber. Ich musste dringend aufs Klo.
    Ein paar Minuten später wurden auch unten die Vorhänge aufgezogen. Ich sah zwei Gestalten. Sie waren also beide auf. Ich stellte sie mir in ihrer schönen Küche vor, wie sie Kaffee machten, Brot toasteten, miteinander über ihre Pläne für den Tag sprachen, sich mit einem Kuss verabschiedeten. Die Haustür blieb geschlossen. Ich könnte nach Hause fahren, dachte ich, und mich wieder ins Bett legen. Julie schlief wahrscheinlich noch.
    Endlich ging die Tür auf, und Gabriel erschien. Er blieb einen Moment auf der Treppe stehen, fasste an seine Jackentaschen, um sicherzugehen, dass er seine Schlüssel dabeihatte, und rief seiner Frau über die Schulter noch etwas zu. Er trug eine schwarze Jeans und eine graue Wolljacke und sah aus wie die Leute, die ich kannte, wie einer von meinen Freunden.
    Ich musste noch ein bisschen warten. Ich starrte auf die Uhr im Wagen. Nach zehn Minuten stieg ich aus. Es war noch nicht zu spät, ich konnte es mir nach wie vor anders überlegen. Es war erst zu spät, als ich lauter als

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