Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das rote Zimmer

Titel: Das rote Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
Vom Netzwerk:
paar Tomaten besorgen. An der nächsten Ecke ist ein Laden, der rund um die Uhr geöffnet hat.«
    »Ich hab noch was für dich.« Sie zog eine große Stange Zigaretten heraus.
    »Ehrlich gesagt, rauche ich nicht.«
    »Irgendwie war mir so«, meinte Julie mit einem Lächeln.
    »Stört’s dich, wenn ich mir eine anzünde?«
    »Überhaupt nicht.«
    Fünfzehn Minuten später saß sie Julie gegenüber am Küchentisch und nippte an meinem Gin Tonic. Julie machte sich über den großen Teller mit dem ziemlich späten Frühstück her und trank dazu abwechselnd kleine Schlucke Gin und große Schlucke Tee, der die braune Farbe von Baumrinde besaß. Während sie aß, erzählte sie mir Bruchstücke von Geschichten: über anstrengende Klettertouren in großer Höhe, Kanus, Anhalter, Lagerfeuer, seltsames Essen, eine Flutkatastrophe, Kriegsgebiete, kurze sexuelle Begegnungen, eine handfeste Affäre in einem Apartment am Hafen von Sydney, einen Job an Bord einer Jacht und einen anderen als Kellnerin in San Francisco, auf Hawaii und in Singapur, oder war es Sao Paulo und Santo Domingo?
    Und all das – daran bestand kein Zweifel – war wie eine Vorschau auf kommende Attraktionen. Die kompletten Geschichten würde sie mir in Gänze erzählen, wenn der richtige Zeitpunkt dafür gekommen war.
    »Ich mag diese Wohnung«, erklärte sie. »Ich hab sie früher schon gemocht.«

    Einen Moment lang starrte ich sie verblüfft an.
    »Habe ich überhaupt schon hier gewohnt, als du damals weggegangen bist?«
    »Natürlich«, antwortete sie und tunkte mit einem Stück fettigem Brot eine große Eidotterpfütze auf. »Ich war schon öfter hier. Einmal hast du mich zum Abendessen eingeladen.«
    Sie hatte Recht, nun fiel es mir wieder ein. Ich empfand ihre Worte fast als Vorwurf. Sie hatte so vieles erlebt, so viele »Erfahrungen« gemacht und all diese Dinge gesehen, während ich die ganze Zeit nicht aus Clerkenwell herausgekommen war. Meine Arbeit war mir so wichtig erschienen, dass ich in all den Jahren, in denen Julie ihren Horizont erweitert hatte, kein einziges Mal im Urlaub gewesen war. Mein Blick fiel auf mein Spiegelbild. Ich sah schrecklich blass aus.
    »Aber in einem Punkt bist du wirklich zu beneiden«, erklärte sie, klang dabei aber gar nicht neidisch. »Ich bin von der Leiter gestiegen. Der Karriereleiter, meine ich.
    Jetzt muss ich einen Weg zurück finden. Sieh mich an.
    Hier bin ich, wieder im Lande, aber für keinen Job geeignet.« Lachend wandte sie mir das Gesicht zu. Sie war offensichtlich – und völlig zu Recht, wie ich fand – sehr stolz auf sich. »Und du?« Vor diesem Moment hatte ich mich gefürchtet. »Was hast du so getrieben? Wie bist du zu dieser unglaublich erotischen Narbe gekommen?«
    »Ein Typ ist in einer Polizeizelle auf mich losgegangen.«
    »O mein Gott!« Sie war entsprechend beeindruckt.
    »Warum?«
    »Keine Ahnung. Wahrscheinlich, weil er in Panik geraten ist.«
    »Wie schrecklich.« Sie kaute laut vor sich hin. »Und du warst so richtig schlimm verletzt?«

    »Ziemlich schlimm. Das Ganze ist vor drei Monaten passiert, und ich bin erst seit heute wieder in der Arbeit.«
    »Seit heute? Ist dir das dann nicht zu viel?« Ihre Miene wirkte besorgt. »Dass ich mich einfach so bei dir einquartiere?«
    »Nein, das ist schon in Ordnung. Solange es nicht allzu –
    «
    »Was hat sich denn sonst noch ereignet? Außer dass du von einem Irren attackiert worden bist und fast gestorben wärst, meine ich.«
    Ich zermarterte mir das Gehirn nach irgendeinem bedeutenden Ereignis. »Albie und ich haben uns getrennt«, erklärte ich.
    »Endgültig.«
    »Tja.« Julies Stimme klang mitfühlend. »Ich erinnere mich, dass du damals schon von Problemen gesprochen hast.« O verdammt, dachte ich. Wirklich? Vor drei Jahren schon? Anscheinend führte ich ein Leben wie einer von diesen altmodischen Tiefseetauchern, die mit schweren Eisenstiefeln ganz langsam am Meeresgrund dahinstapften. »Gibt es jemand Neuen?«
    »Nein. Wir haben uns erst vor kurzem getrennt.«
    »Oh«, sagte sie. »Und deine Arbeit?«
    »Ich bin noch immer in der Klinik.«
    »Oh.«
    Ich musste irgendetwas Interessantes aus dem Ärmel schütteln. Unbedingt.
    »Man hat mich gebeten, für die Polizei zu arbeiten. Es könnte sich sogar etwas Längerfristiges daraus entwickeln.
    Als eine Art Beraterin.« Mit einer Außenstehenden darüber zu sprechen, ließ das Ganze plötzlich real erscheinen.

    Sie nahm einen großen Schluck Gin und gähnte dann.
    Ich sah ihre

Weitere Kostenlose Bücher