Das rote Zimmer
Staubflusen. Die Wände waren krankenhausgrün gestrichen. Das lackierte Geländer fühlte sich klebrig an, als hätten sich vor mir schon viele Menschen mit schwitzenden Fingern daran festgehalten. Furth und ich hatten kaum nebeneinander Platz, deswegen ging ich voraus, und er folgte, als würden wir eine Wendeltreppe in den Turm eines Schlosses hinaufsteigen. Während ich mich der Tür am Ende der Treppe näherte, stieg mir ein starker Fleischgeruch in die Nase. Schlagartig wurde mir bewusst, dass das alles völlig falsch war. »Wir dürfen das nicht tun«, sagte ich mit leiser Stimme zu Furth.
»Was meinen Sie?«, zischte Furth. »Hat Sie der Mumm verlassen?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, nein. Ich muss allein mit ihm sprechen.«
»Wovon reden Sie überhaupt? Das kann ich auf keinen Fall zulassen!«
»Verstehen Sie denn nicht? Sie und ich und er, dieselbe Konstellation wie damals. Was soll er da denken?«
Furth blickte sich verzweifelt um, als stünde hinter ihm jemand, der ihm die Verantwortung abnehmen würde.
»Sie werden auf keinen Fall allein da hineingehen!«
»Sie haben mir doch gesagt, dass er ein kleiner Perverser ist. Wo liegt das Problem?«
»Ich habe Ihnen gesagt, dass ich ihn für einen Mörder halte.«
Ich überlegte. »Sie bleiben auf der Treppe. Ich werde ihm sagen, dass Sie da sind. Das ist eine gute Lösung.«
Furth schwieg einen Moment. »Ich werde direkt vor der Tür warten. Sie brauchen nur zu rufen, und ich bin drin.
Haben Sie verstanden? Wenn Sie auch nur eine Sekunde lang Bedenken haben, dann schreien Sie, Kit.«
»Gut.« Ich holte tief Luft. »Warten Sie ein paar Stufen weiter unten, bis ich drin bin. – Michael?« Ich rief noch einmal Dolls Namen und klopfte dann fest gegen die Tür, die im gleichen deprimierenden Grünton gestrichen war wie die Wände.
Drinnen hantierte jemand mit einem Vorhängeschloss und öffnete die Tür dann einen Spalt weit. »Was wollen Sie?«
Ein schmaler Streifen von Dolls Gesicht spähte zu mir heraus. Seine Augen wirkten leicht blutunterlaufen, seine blasse Stirn zierten Dutzende winziger Pickel. Der Geruch war jetzt noch stärker wahrzunehmen.
»Ich bin’s, Kit Quinn, Michael. Dr. Quinn. Die Polizei hat bei Ihnen angerufen und Ihnen gesagt, dass ich vorbeikomme.«
»Aber ich habe Sie noch nicht erwartet, ich habe nicht
… Hier drin sieht’s fürchterlich aus. Sie kommen zu früh.
Es sieht wirklich schrecklich aus.«
»Das macht doch nichts.«
»Warten Sie. Warten Sie.« Die Tür ging zu, und ich hörte ihn drinnen hantieren. Dinge wurden über den Boden gezerrt, Schubladen zugeschlagen, ein Wasserhahn aufgedreht.
Ein paar Minuten später öffnete sich die Tür wieder, diesmal ganz. Doll starrte mich an. Ich zwang mich zu einem Lächeln, das er erwiderte. Ich zwang mich, einen Schritt vorzutreten.
Er hatte sein strähniges Haar nach hinten gebürstet und sich mit irgendetwas einparfümiert. Der süßliche Duft, kombiniert mit dem Fleischgeruch, stieg mir unangenehm in die Nase.
Ich zwang mich, die Hand auszustrecken. Meine Finger schienen nicht zu zittern. Er schüttelte sie vorsichtig, als handelte es sich um eine Bombe, die jeden Moment explodieren könnte. Seine Handflächen fühlten sich weich und feucht an. Er konnte mir nicht in die Augen sehen.
»Hallo, Michael.« Er trat einen Schritt zurück, um mich in die Wohnung zu lassen. Als ich den Raum betrat, hörte ich ein leises Knurren, dann stürzte sich etwas Dunkles auf mich. Ich sah gelbe Zähne, eine rote Zunge und funkelnde Augen, roch den scharfen Atem des Hundes, bevor Doll ihn von mir wegziehen konnte.
»Platz, Kenny!« Kenny war groß, schwarzbraun und hatte ziemlich viel von einem Schäferhund. »Tut mir Leid.
Tut mir wirklich Leid!«
»Schon gut. Er hat mich nicht mal berührt.« Dabei schoss noch das Adrenalin der Angst durch meine Adern.
Aus der Kehle des Hundes drang weiterhin ein leises Knurren.
»Nein. Es tut mir so Leid! So Leid!«
»Ach so, Sie meinen das hier.« Ich berührte mein Gesicht. Er starrte auf meine Narbe.
»Es tut mir Leid«, sagte er noch einmal. »Wirklich, sehr, sehr Leid. Ich wollte nicht … Es war nur die Art, wie die einen dort behandeln … Es war nicht wirklich meine Schuld, Sie waren bloß gerade da, und die haben solche Dinge gesagt.«
»Ich bin nicht gekommen, um über diese Sache zu sprechen, Michael.«
»Sie gehören auch zu denen.«
»Nein, ich gehöre nicht zu denen. Ich möchte ehrlich zu Ihnen sein. Ich bin
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