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Das rote Zimmer

Titel: Das rote Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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weißen Zähne, ihre rosa Zunge.
    »Erstaunlich«, sagte sie. »Hab ich dir eigentlich schon von diesem seltsamen Typen erzählt, der mich und einen Freund mitgenommen hat, als wir auf dem Weg zu den Drakensburg-Bergen waren?«
    Sie hatte mir noch nicht davon erzählt, aber wir zogen auf die Couch um, und sie holte es nach. Diesmal bekam ich die ganze Version zu hören. Ein beruhigendes Gefühl, Julie wie eine Katze auf dem Sofa ausgestreckt, genussvoll diese nun vergangenen Gefahren schildernd, während ich alle paar Minuten an meinem Drink nippte und es draußen langsam Nacht wurde. Als Julie schließlich verstummte und ich hochblickte, war sie eingeschlafen, ihren Drink noch in der Hand. Offenbar hatte ihr Gehirn ihrem Körper mitgeteilt, dass sie sich noch in Thailand oder Hongkong befinde und es in Wirklichkeit drei Uhr morgens sei. Vorsichtig nahm ich ihr das Glas aus der Hand, woraufhin sie etwas Unverständliches murmelte. Dann holte ich eine Bettdecke und breitete sie über ihr aus. Seufzend kuschelte sie sich hinein wie ein Hamster in sein Nest. Ich musste lächeln.
    Dieser Zugvogel fühlte sich in meiner Wohnung bereits wohler als ich selbst.
    Ich ging ins Schlafzimmer und zog mich aus. Es war ein sehr seltsamer Tag gewesen – voller hektischer Betriebsamkeit nach so vielen Wochen der Rekonvaleszenz. Die Gedanken schwirrten nur so durch meinen Kopf. Meine Haut fühlte sich kalt und nackt an, wie ein Zweig, den man aus seiner Rinde geschält hatte.
    Ich schlüpfte ins Bett und versuchte es mir unter meiner eigenen Bettdecke gemütlich zu machen, was mir aber nicht so richtig gelingen wollte. Ich musste an das Mädchen denken, das tot am Kanal gefunden worden war.

    Lianne, so hatte sie geheißen, zumindest hatte sie sich selbst so genannt. Einfach nur Lianne. Ein verlorenes Mädchen ohne richtigen Namen. Bald würde ich mehr über sie wissen. Jetzt wollte ich schlafen, um am nächsten Tag einen klaren Kopf zu haben, denn ich musste mich mit Doll treffen. Ich berührte meine Narbe. Schloss die Augen.

    5. KAPITEL
    Michael Dolls Einzimmerwohnung lag über einem Hundesalon in Homerton, in einer Straße voller seltsamer, schmuddeliger Läden, bei denen ich mich immer fragte, wie sie überhaupt existieren konnten. Beispielsweise der Tierpräparator, aus dessen Schaufenster ein ausgebleichter Eisvogel starrte. Wem es wohl in den Sinn gekommen war, einen Eisvogel auszustopfen? Außerdem gab es einen Klamottenladen, der Blumenschürzen und Trevirahosen mit Gummibandsteg feilbot, einen Laden, in dem alles weniger als ein Pfund kostete, sowie ein rund um die Uhr geöffnetes Lebensmittelgeschäft, wo eingedellte Dosen pyramidenförmig in den Regalen gestapelt waren und hinter der Kasse ein fetter Mann gelangweilt in der Nase bohrte. Nummer 24a. Eines der Fenster war mit einem sich blähenden Streifen Plastik abgedeckt. In der Wohnung brannte Licht.
    Ich wandte mich an Furth. »Wissen Sie, eigentlich sollte es andersherum laufen. Sie sollten sich den Fall ansehen, eine Theorie entwickeln und anhand dieser Theorie einen Verdächtigen finden, statt sich einen Verdächtigen zu greifen und zu sehen, ob der sich irgendwie in Ihren Fall einpassen lässt. Ich helfe Ihnen auch nur deshalb, weil Sie’s bereits vermasselt haben, indem Sie Ihre verkabelte Colette mit dem hübschen Gesicht und den schlanken Beinen in die Schlacht geschickt haben.«
    »Natürlich, Kit«, antwortete er in sanftem Ton, den Blick auf die trostlose Straße gerichtet. »Aber Ihnen geht’s gut, oder?«
    »Bestens.« Ich würde ihm bestimmt nicht erzählen, dass ich seit drei Uhr morgens wach gelegen und mich auf diesen Moment vorbereitet hatte.
    Als wir aus dem Wagen stiegen, spürte ich, wie sich mein Körper vor Angst verkrampfte. Ich ballte die Fäuste und hoffte, meine Nervosität unter meiner schwarzen Jeans, meinem langärmeligen weißen Shirt und meiner alten Wildlederjacke verbergen zu können. Mein Haar war locker zurückgebunden. Ich wollte lässig und entspannt wirken, zugleich aber auch geschäftsmäßig. Ich war die freundliche Ärztin, aber keine Freundin.
    Ich drückte auf den Klingelknopf, konnte aber nicht hören, ob es oben läutete. Keine Reaktion. Ich klingelte noch einmal und wartete. Als sich nichts rührte, drückte ich gegen die Tür und stellte fest, dass sie offen war. Ich trat ins Haus und rief:
    »Hallo? Michael?« Meine Stimme hing in der muffig riechenden Luft.
    Das Treppenhaus war eng und kahl. Auf den Stufen lagen

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