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Das rote Zimmer

Titel: Das rote Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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zwei Oliven in den Mund, bekam einen Hustenanfall und schüttete rasch einen Schluck Wein hinterher. Ihr Gesicht lief knallrot an. »Verdächtigst du schon jemanden?«, stieß sie keuchend hervor.

    »Darauf habe ich es erst mal gar nicht abgesehen. Ich versuche, möglichst alles, was mir in die Finger kommt, unvoreingenommen zu durchleuchten und auf diese Weise vielleicht Aufschluss darüber zu bekommen, nach welcher Art von Mensch die Polizei Ausschau halten sollte. Meine Aufgabe ist einfach, die Augen zu öffnen und mir die Dinge ohne Vorurteile anzusehen – ein bisschen wie bei den Rätseln, die man nur durch laterales Denken lösen kann. Antonius und Kleopatra liegen tot nebeneinander, neben sich eine Wasserpfütze und ein paar Glasscherben.
    Wie sind sie um Leben gekommen?«
    »Der Goldfisch war’s!«, antwortete Julie wie aus der Pistole geschossen. »Aber was sagst du zu dem Mann, der im Erdgeschoss in den Lift steigt, immer bis in den zehnten Stock fährt und die restlichen Stockwerke zu Fuß geht, während er auf dem Weg nach unten im fünfzehnten Stockwerk einsteigt und ohne anzuhalten runterfährt?«
    »Zwerg.«
    »Glaubst du, sie werden den Mörder finden?«
    »Das hängt ganz davon ab. Wenn er jetzt aufhört, nein, dann glaube ich nicht, dass sie ihn finden werden.«
    »Du klingst aber nicht sehr optimistisch.«
    »Hast du eine Ahnung, wie viele Morde in einem Jahr begangen werden?«
    »Wo? Auf der ganzen Welt?«
    Ich lachte. »Nein. In England und Wales.«
    »Ich habe keinen blassen Schimmer. Fünftausend?«
    »Hundertfünfzig, zweihundert, um diesen Dreh herum.
    Und mehr als die Hälfte, vielleicht sogar zwei Drittel, werden ganz schnell aufgeklärt. Die meisten Opfer werden von Menschen aus ihrem Bekanntenkreis umgebracht, Ehemännern, Familienmitgliedern. Vor irgendeinem Club kommt es zu einer Schlägerei, ein paar Fußballfans randalieren, ein Einbrecher tötet eine alte Dame, die ihn auf frischer Tat ertappt, als er gerade ihr Haus verlassen will. Die restlichen Täter, denen es bestimmt ist, geschnappt zu werden, gehen der Polizei größtenteils in den berühmten ersten achtundvierzig Stunden ins Netz.
    Ein Mörder ist dann entweder noch voller Blut, fällt durch sein seltsames Verhalten auf, muss erst noch seine Waffen und Klamotten loswerden, seine Spuren verwischen. Erst viele Tage später, wenn sich die Polizei keinen Rat mehr weiß, kommt man auf die Idee, jemanden wie mich um Hilfe zu bitten. Die vom Mörder entsorgte Tatwaffe ist nicht aufgetaucht, das Blut längst weggewaschen. Falls es Zeugen gibt, denen etwas Verdächtiges aufgefallen ist, haben sie sich bis zu diesem Zeitpunkt bereits gemeldet.
    Kennst du das Gefühl, wenn du deine Schlüssel verloren hast und in das schreckliche Stadium kommst, in dem du überall dort, wo du schon nachgesehen hast, ein zweites Mal nachsiehst? Genau dieses Stadium hat die Polizei jetzt im Fall Lianne erreicht.«
    »Klingt hoffnungslos.«
    Ich biss in eine weitere Olive. Wundervoll. »Die von der Polizei lässt das ziemlich kalt. Es gibt keine Verwandten, die sich aufregen, keine Presse, die nach einem Ergebnis verlangt. In gewisser Hinsicht hat das Ganze auch was Gutes: Wenn die Situation hoffnungslos ist, kann es wenigstens nicht noch schlimmer werden.«
    »Hast du deswegen mit diesem Typen gesprochen, diesem Will?«
    »Ja. Lianne – na ja, es gibt hier in der Gegend eine Menge Mädchen wie sie.«
    »Du meinst Prostituierte und Ausreißerinnen.«
    »Ich meine junge Frauen, die weder einen festen Wohnsitz noch eine feste Beziehung haben und von Gelegenheitsjobs leben. Und ich glaube, dass Will Pavic sich in dieser Welt recht gut auskennt.«
    »Was ist er? Ein Zuhälter?«
    »Er führt ein Jugendhaus, das einem Teil dieser Ausreißerinnen hilft.« Ich musste über Julies enttäuschte Miene lächeln.
    »Tut mir Leid. Er ist weder Anwalt noch Arzt noch Fernsehproduzent. Die von der Polizei verziehen jedes Mal das Gesicht, wenn sein Name fällt. Offenbar halten sie nicht viel von ihm. Wie auch immer, du hast wahrscheinlich mitbekommen, dass er nicht besonders scharf darauf war, mit mir zu kommunizieren, deswegen könnte sich dein Plan, ihn in deine Fänge zu bekommen, als recht nützlich erweisen. Vielleicht fängt er an, mit mir zu reden, während er sich in dich verliebt. Oder hast du was dagegen, wenn ich bei eurem Rendezvous anwesend bin?«
    »Um Gottes willen, ohne dich geht es gar nicht! Du musst mir helfen!«
    Julie hatte abends eine Verabredung,

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