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Das rote Zimmer

Titel: Das rote Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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höflichen Ton kam ich viel schwerer an als gegen Furths grobe Art.
    »Ich bin keineswegs der Meinung, dass ich von derartigen Annahmen ausgehe«, entgegnete ich. »Ich sage doch nur, dass wir, wenn Lianne nicht am Kanal ermordet worden ist – und es gibt keinen Grund, das noch länger zu glauben –, Möglichkeiten in Betracht ziehen müssen, die wir vorher vielleicht übersehen haben.«
    Oban bewies sehr viel Geduld mit mir. »Gesetzt den Fall, Sie haben Recht. Ignorieren wir mal die Tatsache, dass Furths Team die Akten bereits durchgesehen hat.
    Warum Pippa Burton? Ich sehe da keinerlei Parallelen, nur Unterschiede.« Er begann sie an den Fingern abzuzählen:
    »Die Opfer unterscheiden sich, ebenso die Mordarten, die Fundorte der Leichen, die Stadtteile, in der die Fundorte liegen. Außerdem sollten Sie bedenken, dass es hier auch um interne Politik geht. Sie haben bei uns was gut. Wir hatten ziemliche Schuldgefühle wegen des Unfalls, Sie wissen schon. Bestimmt wollen Sie diesen Bonus nicht ganz verspielen.«
    Wieder gab ich keine Antwort. Es gelang mir, seinem Blick standzuhalten.
    »Also gut«, meinte er schließlich seufzend. »Sehen Sie sich die Leiche an.«
    »Danke.«
    »Der Fall liegt natürlich nicht in unserem Zuständigkeitsbereich, aber das dürfte kein Problem sein.
    Ich werde dafür sorgen, dass Furth es für Sie arrangiert –
    auch wenn er darüber nicht glücklich sein wird. Ich weiß, dass er ein Idiot ist, aber er hat ebenfalls ein gutes Gespür.
    Er liegt damit nicht immer daneben.« Er musterte mich prüfend, ohne zu lächeln.
    »Na ja …« Ich brachte ein Lachen zustande, das mehr wie ein Schluchzen klang.
    »Warum ist dieser Fall für Sie so wichtig, Kit?«
    Ich zuckte mit den Achseln. »Ich versuche nur, gründlich zu sein.«

    »Wie ich höre, haben Sie mit Will Pavic gesprochen.«
    »Woher wissen Sie das?«
    »Ein recht dubioser Typ. Wissen Sie, dass er früher ein großes Tier in der City war?«
    »Ich habe so was läuten hören.«
    »Ich kenne auch nicht alle Einzelheiten, aber er hatte eine Art Zusammenbruch und warf alles hin. Danach hat er versucht, die Mutter Teresa von Nord-London zu werden.«
    »Das klingt doch recht gut.«
    »So einfach ist das nicht. Der Typ hat den Boden unter den Füßen verloren.« Wieder musterte er mich mit prüfendem Blick. »Der Polizei gegenüber ist er auch nicht gerade freundlich gesinnt.«
    »Das scheint auf Gegenseitigkeit zu beruhen«, gab ich trocken zurück.
    »Wir haben nur versucht, ihn dazu zu bringen, die Gesetze zu befolgen wie alle anderen. Lassen Sie sich von seinem Charme nicht täuschen.«
    Endlich etwas, das mich zum Lächeln brachte. Ich musste an unser Abendessen denken, an Pavics Stoppelkopf und die Verachtung in seinen Augen. »Keine Angst, da besteht keine Gefahr.«
    Oban hatte Recht. Furth hatte Recht. Warum war ich dann nicht ihrer Meinung? Ich starrte wieder auf Philippa Burtons Körper, einen schlanken, glatten Körper mit runden Hüften, hohen Brüsten und leichten Dehnungsstreifen am Bauch, wahrscheinlich von der Geburt ihrer Tochter. Die Hände waren schmal und anmutig, die manikürten Fingernägel perlmuttrosa lackiert, passend zu den Zehennägeln. Ihr Körper war unversehrt, abgesehen von den Blutergüssen rund um ihre zarten Handgelenke. Sie lag da wie eine schöne Statue, in die Falten eines Lakens drapiert, aber der Kopf, der zu diesem glatten Torso gehörte, war auf der linken Seite zertrümmert. Ihr goldblondes Haar war mit dunklem Blut verklebt.
    Ich verspürte nicht den Wunsch, sie zu berühren oder länger neben ihrem Körper zu verharren. Sie besaß einen Mann und eine Tochter, die um sie trauerten, sowie Dutzende schockierter Freunde. Dazu kam eine Menge Fremder, die in ihre Vorstellung von dieser Frau verliebt war. Die Zeitungen hatten Artikel über sie gebracht, Politiker Schlange gestanden, um dieser vorbildlichen Mutter Tribut zu zollen, die so brutal von einem teuflischen Monster aus dem Leben gerissen worden war.
    Und wir dürfen nicht ruhen, bis er gefasst ist, und so weiter. Tausende von Menschen hatten an dem Ort, wo man ihre Leiche gefunden hatte, Berge von Blumen und Plüschtieren niedergelegt. Hunderte würden zu ihrer Beerdigung kommen. Wildfremde Menschen würden Blumen schicken. Trotzdem konnte ich mich nicht losreißen, musste sie weiter anstarren, weil ich so ein seltsames Gefühl hatte, wie ein Jucken, das sich nicht wegkratzen ließ. Sie war mit dem Gesicht nach unten gefunden worden, genau

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