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Das rote Zimmer

Titel: Das rote Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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Panik in mir aufsteigen.
    »Sie täuschen sich«, erwiderte ich. »Ich bin niemals sicher. Das ist genau der Punkt.«
    Bei dreizehn der ungeklärten Mordfälle handelte es sich um junge Männer, die spät nachts oder in den frühen Morgenstunden getötet worden waren, vor Nachtklubs, Pubs, nach Fußballspielen oder Partys. Ich überflog ihre Akten: zu Tode geprügelt, erstochen, mit einer zerbrochenen Flasche am Kopf verletzt. In zwölf der dreizehn Fälle hatten die Opfer große Mengen Alkohol konsumiert. Der dreizehnte war ein neunzehnjähriger Schwarzer, den man mit zerschmettertem Schädel unter seinem Fahrrad gefunden hatte. Überfahren.
    Möglicherweise ein Unfall, unter Umständen ein ausländerfeindlicher Übergriff.
    Zwei Prostituierte, von denen die eine tot in ihrem kleinen Zimmer über einer Kebabbude gefunden worden war. Die Besitzer hatten sich gewundert, wo der Geruch herkam. Die zweite war auf einem Stück Ödland in Summertown zu Tode geprügelt worden. Nicht weit weg von Lianne. Bei ihr zögerte ich kurz: Jade Brett, zweiundzwanzig, HIV-positiv, keine Angehörigen.
    Wahrscheinlich nicht, aber ich machte mir eine Notiz. Des Weiteren waren unter den Toten mehrere Obdachlose, Alkoholiker mit ruinierter Leber, die tot neben Parkbänken oder in den Ladeneingängen gefunden worden waren, wo sie üblicherweise schliefen. Es lagen auch mehrere ungeklärte Morde an Kindern vor, wobei die Polizei ihre Ermittlungen in allen Fällen, von einer Ausnahme abgesehen, auf Familienmitglieder und Bekannte konzentrierte. Für den Lianne-Fall waren sie ohnehin nicht relevant.
    Dann gab es da natürlich noch Philippa Burton, zweiunddreißig, Mittelklasse, respektabel, inzwischen berühmt wegen ihrer Ermordung. Ihr Name war der einzige, den ich kannte. Die anderen waren den Zeitungen nicht mehr als ein paar Zeilen auf Seite fünf wert. Ich sah mir die Einzelheiten ihres Falls an. Wie ich bereits wusste, war sie in Hampstead Heath von dem Spielplatz verschwunden, auf dem ihre kleine Tochter gespielt hatte, und mehrere Stunden später am abgelegenen, wilden Ende des Heidegebiets entdeckt worden, wo sie mit dem Gesicht nach unten zwischen Bäumen und Büschen lag.
    Sie war mit einem Stein, den man wenige Meter von ihr entfernt fand, mehrere Male auf den Kopf geschlagen worden. Außerdem hatte sie einen Schnitt an der linken Wange und leichte Blutergüsse an den Handgelenken. Sie war nicht vergewaltigt worden. Es gab keinerlei Anzeichen dafür, dass es sich um einen Sexualmord handelte.
    Ich rieb mir die Augen und starrte auf den Bildschirm.
    Dann griff ich nach dem Telefon und tippte Furths Durchwahl.
    »Ich würde mir gern die Leiche von Philippa Burton ansehen. Und ihre komplette Akte.«
    »Was?«
    Es war kein »Was haben Sie gesagt?«, sondern ein
    »Was, zum Teufel, faseln Sie da eigentlich?«
    »Kann ich?«
    »Warum?«, wiederholte er schwer atmend.
    »Weil ich es möchte.«
    »Wollen Sie uns verarschen, Doktor? Hat das alles vielleicht etwas mit Ihrer Arbeit in der Klinik zu tun?«
    »Mir ist klar, dass –«
    »Wollen Sie wissen, was ich denke?«
    »Was?«
    »Sie haben ein Problem. Seit Dolls Attacke. Andere Leute haben das auch schon festgestellt.«

    »Warum haben Sie mich dann zu Rate gezogen?«
    »Das frage ich mich schon die ganze Zeit.«
    »Fakt ist, dass ich hier bin. Kann ich die Leiche sehen?«
    »Nur weil es für Sie interessant wäre? Vergessen Sie’s!«
    Mit diesen Worten legte er einfach auf. Ich starrte ein paar Sekunden auf den Computerbildschirm, dann griff ich erneut nach dem Haustelefon und bat darum, mit Oban verbunden zu werden.
    »Kann ich kurz mit Ihnen reden?«
    »Klar. Jetzt gleich?«
    »Ja, bitte.«
    »In Ordnung.«
    Oban hatte die Hände aneinander gelegt und sah mich über seine Fingerspitzen hinweg ruhig an. Seine Augen schienen mir heller denn je. Er ließ sich ein paar Sekunden Zeit, ehe er antwortete. »Ich verstehe nicht so recht, wonach Sie suchen, Kit.«
    Ich schwieg – es gab auch nicht viel zu sagen, weil ich es ja selbst nicht wusste, und das Gefühl, dass ich mich höchstwahrscheinlich lächerlich machte, zur Freude des ganzen Polizeireviers, wurde immer stärker.
    »Sie haben davon gesprochen, nicht von falschen Annahmen auszugehen. Nun gehen Sie selbst von der Annahme aus, dass Liannes Mörder noch jemand anderen umgebracht hat. Warum? Sie glauben, es könnte eine Verbindung zum Fall Pippa Burton geben. Warum? Das müssen Sie mir schon erklären, Kit.« Gegen seinen sanften,

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