Das rote Zimmer
gleiten. Ich lehnte mich mit geschlossenen Augen zurück. Nach wenigen Momenten klingelte das Telefon. Verdammt, ich hatte den Anrufbeantworter nicht eingeschaltet. Warum klingelten Telefone immer dann, wenn man gerade in der Wanne lag? Ich wartete, aber es hörte nicht zu läuten auf.
Schließlich stieg ich heraus, schlang ein Handtuch um mich und ging ins Wohnzimmer, eine Spur aus nassen Fußabdrücken hinterlassend.
»Hallo?« Auf meinen Armen zerplatzten kleine Seifenblasen.
»Spreche ich mit Kit Quinn?« Die Verbindung war schlecht, offenbar ein Handygespräch.
»Am Apparat.«
»Hier ist Will Pavic.«
»Oh«, sagte ich in das Schweigen hinein, das auf seine Worte folgte.
»Ich wollte mich wegen kürzlich entschuldigen.«
»Nur zu.«
»Was?«
»Sie haben doch gerade gesagt, Sie wollen sich entschuldigen.«
Am anderen Ende der Leitung zischte es, ob aus Wut oder Spaß, konnte ich nicht sagen. »Es tut mir Leid, dass ich so ungesellig war. So, nun haben Sie Ihre Entschuldigung.«
»Sie waren allem Anschein nach sehr müde, und es war sowieso eine blöde Einladung. Vergessen Sie’s einfach.
Spielt wirklich keine Rolle.«
»Vielleicht kann ich Ihnen doch ein bisschen über Lianne erzählen.«
Ich hielt vor Überraschung die Luft an. »Ja?«
»Es ist wirklich nicht viel, aber … na ja, ich bin ungefähr einen Kilometer von Ihrer Wohnung entfernt, und deswegen habe ich mir gedacht, ich könnte genauso gut auf einen Sprung vorbeikommen. Nur für ein paar Minuten. Falls Sie nicht gerade Gäste haben.«
»Nein, es passt wunderbar. Ich bin allein.« Wehmütig dachte ich an meine Badewanne voll seidenweichem Wasser. »Dann bis gleich. Ach, übrigens, wie sind Sie an meine Nummer gekommen?«
»Sie hatten Recht. Es war gar nicht so schwierig.«
Ich zog den Stöpsel aus der Wanne und schlüpfte in eine alte Jeans und irgendein Oberteil. Ich würde Will Pavics wegen bestimmt keinen Aufwand treiben. Während ich auf ihn wartete, schaltete ich die Fernsehnachrichten an, um zu sehen, ob es etwas Neues über Philippa Burton gab.
Mittlerweile war sie von der Hauptstory an die dritte Stelle gerutscht: Noch immer suchte die Polizei die Gegend nach Hinweisen ab, noch immer wurden dort, wo man ihre Leiche gefunden hatte, Blumen und Plüschtiere niedergelegt. Sie brachten ein neues Foto von ihr, das sie in weiten Leinenshorts und einem T-Shirt auf einem Hügel zeigte, lachend und mit wehendem Haar, die Arme um ihre kleine, dunkeläugige Tochter gelegt.
Ich musste daran denken, wie Emily ihr Gesicht im Plüschfell ihres Koala vergraben und dabei Worte ihrer Mutter geflüstert hatte: »Ich bin so stolz auf dich.«
Vielleicht hatte meine Mutter auch solche Sachen zu mir gesagt, bevor sie gestorben war. Mein Vater war, was solche Einzelheiten betraf, nie sehr gut gewesen – er hatte bloß stirnrunzelnd gemeint: »Na ja, sie hat dich natürlich sehr lieb gehabt«, als wäre das genug. Dabei hatte ich immer so viel mehr wissen wollen: all die dämlichen Verkleinerungsformen und Koseworte, die Spiele, die sie mit mir gespielt hatte, die Art und Weise, wie sie mich gehalten und getragen, die Hoffnungen, die sie gehegt hatte. Mein ganzes Leben lang hatte ich mir diese Dinge selbst ausgedacht. Wenn ich in der Schule gut war, sagte ich mir, wie zufrieden meine Mutter gewesen wäre. Als ich Ärztin wurde, fragte ich mich, ob sie sich das wohl für mich gewünscht hätte. Noch heute, wenn ich in den Spiegel blicke, rede ich mir oft ein, dass es nicht mein Spiegelbild, sondern das meiner Mutter ist, und dass sie nach so vielen Jahren des Wartens endlich vor mir steht und mich anlächelt.
Es klingelte.
Diesmal trug Will einen dunklen Anzug, aber keine Krawatte. Seine Augen waren rot gerändert, seine Haut kalkweiß. Er sah aus, als brauchte er dringend Schlaf.
»Möchten Sie einen Drink?«, fragte ich.
»Nein, danke. Vielleicht einen Kaffee.« Er stand mitten im Wohnzimmer und schien sich ziemlich unbehaglich zu fühlen.
Ich machte ihm einen Kaffee und schenkte mir selbst ein Glas Wein ein. »Milch? Zucker?«
»Weder noch, danke.«
»Einen Keks?«
»Nein, danke, gar nichts.«
»Wieso setzen Sie sich nicht? Oder wollen Sie Ihre Information im Stehen loswerden und gleich wieder gehen?«
Er verzog ein wenig das Gesicht und ließ sich dann auf dem Sofa nieder. Ich nahm auf dem Sessel ihm gegenüber Platz und widerstand dem Drang, das Schweigen, das sich zwischen uns ausbreitete, mit Smalltalk zu füllen.
»Ich habe
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