Das rote Zimmer
kam.«
»Sie hatte keine Verbindungen zum Stadtteil Kersey Town?«
»Vielleicht ist sie dort mal in eine U-Bahn gestiegen.«
Meine Gedanken begannen von neuem zu kreisen, um immer wieder am selben Punkt anzukommen: Was hatte es für einen Sinn, Jeremy Burton über den Charakter seiner Frau auszufragen, wenn sie das Opfer eines willkürlichen Überfalls geworden war? Schließlich stand ich auf. »Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie mit mir gesprochen haben«, sagte ich und reichte ihm die Hand.
»Sie müssen entschuldigen, meine Fragen haben sich bestimmt ein wenig seltsam angehört.«
»Nicht seltsamer als die meisten anderen, die mir in letzter Zeit gestellt worden sind. Eine Zeitung hat mir fünfzigtausend Pfund geboten. Sie wollten von mir hören, wie es für einen Mann ist, wenn seine Ehefrau ermordet wird.«
»Was haben Sie geantwortet?«
»Ich war sprachlos. Ich habe einfach aufgelegt. Aber Sie wollten noch mit Emily sprechen. Sie hat auch keine Verbindungen nach Kersey Town, das kann ich Ihnen gleich sagen.«
»Es wird nur eine Minute dauern.«
»Pam, meine Schwiegermutter, wird Sie zu ihr bringen.«
Eine gut aussehende grauhaarige Dame wartete bereits an der Verandatür, die in die Küche führte. Ihr Gesicht hatte eine aschgraue Blässe, die Farbe einer Frau, die großen Kummer durchlitten hatte. Jeremy Burton stellte uns vor. »Das mit Ihrer Tochter tut mir sehr Leid«, sagte ich. »Danke«, antwortete sie und neigte dabei leicht den Kopf.
»Dr.
Quinn möchte mit Emily sprechen«, erklärte Burton.
»Wozu?«
»Nur einen Moment«, beruhigte ich sie.
Pam Vere führte mich einen Flur entlang. »Emily hat gerade Besuch von einer Freundin. Kann sie bleiben?«
»Natürlich.«
Pam öffnete die Tür. Auf dem Teppichboden kauerten zwei kleine Mädchen, gerade damit beschäftigt, ein paar Plüschtiere im Kreis aufzustellen. Zwei Mädchen, eine mit dunkelbraunen Zöpfen, die andere mit hellbraunen Locken. Einen Moment lang wusste ich nicht, welche Emily war, und spürte einen Stich in der Herzgegend. Es war wie ein Lotteriespiel. Welche von beiden würde als diejenige ausgewählt werden, deren Mutter auf brutale Weise ermordet worden war? Pam trat auf das dunkelhaarige Mädchen zu. »Emily«, sagte sie, »da ist jemand, der mit dir sprechen möchte.«
Das kleine Mädchen blickte mit ängstlich gerunzelter Stirn zu mir auf. Ich setzte mich neben sie. »Hallo, Emily.
Mein Name ist Kit. Wie heißt denn deine Freundin?«
»Ich bin Becky«, antwortete die Freundin. »Becky Jane Tomlinson.«
Becky begann sofort zu plaudern. Nacheinander wurden mir sämtliche Plüschtiere vorgestellt. Als Allerletztes kamen die guten und die bösen Bären.
»Warum sind die bösen Bären böse?«, fragte ich.
»Weil sie eben böse sind.«
»Was macht ihr mit den Spielsachen?«
»Spielen«, antwortete Emily.
»Nimmst du sie auch manchmal mit zum Spielplatz?«, hakte ich nach. »Nimmst du sie mit auf die Schaukeln und in den Sandkasten?«
»Das hat mich alles schon Bella gefragt«, antwortete Emily.
Ich lachte verblüfft.
»Du bist ein kluges Mädchen, Emily«, sagte ich. »Es tut mir Leid, dass deine Mami gestorben ist.«
»Granny sagt, sie ist bei den Engeln.«
»Und was sagst du?«
»Oh, ich glaube nicht, dass sie so weit geflogen ist. Sie kommt bestimmt zurück.«
Ich schaute zu Pam Vere hoch und sah auf ihrem Gesicht einen Ausdruck so großer Qual, dass ich sofort meinen Blick abwandte. »Sag mal, darf ich irgendwann wiederkommen? Wenn mir noch was einfällt, was ich dich fragen möchte?«
»Meinetwegen«, antwortete Emily, die sich bereits wieder ihrem Spiel widmete. Sie hob einen Koala mit traurigen Augen hoch, presste ihre Lippen an seine schwarze Plastiknase und summte dabei leise vor sich hin.
»Ich bin stolz auf dich«, hörte ich sie plötzlich flüstern.
»So stolz.«
16. KAPITEL
Müde fuhr ich durch die Abgaswolken der Rushhour nach Hause. Ich war froh, dass Julie nicht da war. Sie hatte etwas von einem Vorstellungsgespräch bei einer Plattenfirma gesagt – auch wenn mir schleierhaft war, was sie als Mathelehrerin und Weltenbummlerin über die Musikbranche wusste. Ich öffnete die Fenster, um die frische Abendluft hereinzulassen. Aus dem Garten hinter dem Haus drangen Kinderstimmen. Ich ging ins Bad, drehte den Hahn auf und schüttete ein wenig Badeöl ins Wasser. Dann zog ich meine Sachen aus, die sich nach diesem anstrengenden Tag ziemlich schmutzig anfühlten, und ließ mich in die Wanne
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