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Das rote Zimmer

Titel: Das rote Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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    –«
    »Und darf ich, na ja, Sie wissen schon, Ihre Toilette benutzen?«
    Auf seiner Stirn und über seiner Oberlippe glitzerten kleine Schweißperlen.
    »Durch diese Tür.«
    Sobald er verschwunden war, drehte ich mich zu Julie um.
    »Hör zu, kannst du mir einen Gefallen tun? Geh mit meinem Handy raus vor die Tür und ruf die Polizei an. Ich gebe dir die Nummer.« Schlagartig wurde mir bewusst, was für eine schreckliche Vorstellung es war, bei den Leuten anzurufen, die mich für verrückt hielten, und sie zu bitten, mich vor dem Mann zu schützen, dessen Verhaftung ich selbst verhindert hatte. Ich vergrub den Kopf in den Händen.
    »Kit?«
    »Ja. Entschuldige. Es ist nur – ach, Mist! Ich weiß nicht, was ich tun soll. Er ist wahrscheinlich völlig harmlos, aber ich will kein unnötiges Risiko eingehen.«
    »Dann gib mir das Telefon.« Sie streckte die Hand aus.
    »Mach schon, wir ziehen das jetzt durch.«
    »Vielleicht tu ich ihm damit etwas Schreckliches an.
    Oder mir.«
    »Ich habe keine Ahnung, wovon du eigentlich redest, aber wenn er wirklich gefährlich ist, sollten wir zusehen, dass wir ihn hier rausbekommen. Gib mir das Telefon.«
    »Nein, warte. Warte einen Moment.« Ich hörte die Klospülung. »Ruf Will Pavic an. Er wird wissen, was zu tun ist.«
    »Bist du sicher?«
    »Bitte. Mir fällt sonst niemand ein. Ruf ihn von draußen an.«
    »Wie lautet seine Nummer?«
    »Sie ist im Speicher. Unter Pavic.«
    »Okay, okay. Das ist verrückt.«
    »Ich weiß. Trotzdem, danke.«
    »Was, wenn er nicht da ist oder wenn er –«

    Doll kam aus dem Bad, und Julie stürzte zur Wohnungstür hinaus. Dankbar nahm ich zur Kenntnis, dass sie sie nicht hinter sich ins Schloss zog.
    »Dann setze ich jetzt rasch den Kessel auf«, verkündete ich übertrieben fröhlich.
    »Leben Sie hier allein?«
    »Nein.«
    »Sind Sie verheiratet?«
    »Warum fragen Sie?«
    »Ihre Freundin hat gesagt, dass Sie nicht verheiratet sind.«
    »Dann wissen Sie es ja schon.« Ich durfte ihn nicht reizen. Ihn nicht in die Enge treiben. »Vier Stück Zucker, haben Sie gesagt?«
    »Und einen Keks.«
    »Sind Sie gekommen, um mir etwas Bestimmtes zu erzählen, Michael?«
    »Warum haben Sie keinen Teppichboden?«
    »Michael, gibt es –«
    »Das ist komisch, so ohne Teppichboden. Man hat gar nicht das Gefühl, in einem richtigen Haus zu sein. Sogar im Heim hatten wir in allen Räumen Teppichboden.
    Meiner war braun. Der Teppich war braun und die Tapete weiß, mit so kleinen Fitzelchen.«
    »Raufaser.«
    »Ja, genau. Wenn ich im Bett lag, hab ich die Fetzen oft mit meinen Fingernägeln weggezupft. Wenn sie das dann am Morgen bemerkten, bekam ich Dresche, aber ich konnte einfach nicht damit aufhören. Genau wie bei einem Schorf auf der Haut. Ich habe das manchmal stundenlang gemacht. Auf dem ganzen Bett lagen diese kleinen Papierfetzen herum, sogar unter der Bettdecke. Das ist, als hätte man Krümel im Bett. Zum Teil sieht man sie gar nicht, aber man spürt sie an der Haut. Wissen Sie, was ich meine?«
    »Ja«, antwortete ich hilflos. Ich schüttete das kochende Wasser über seinen Kaffee und fügte Milch hinzu. »Hier.
    Und nehmen Sie sich von den Keksen.«
    »Haben Sie zufällig Kippen da?«
    Ich ging zu meiner Tasche hinüber und nahm die Zigarettenschachtel heraus, die ich mit mir herumtrug, seit ich ihn in seiner Bude besucht hatte. Es war noch eine Zigarette übrig.
    »Hier, nehmen Sie.«
    »Streichholz?«
    Ich reichte ihm eine Schachtel. Nachdem er sich die Zigarette angezündet hatte, schob er die Streichholzschachtel ein.
    »Man musste eigentlich so tun, als würde es einem nichts ausmachen, wenn sie einen schlugen, aber ich habe immer geweint. Sogar noch mit vierzehn, fünfzehn. Ich konnte nicht anders. Heulsuse. Dann haben sie mich ausgelacht, und ich musste noch mehr weinen. Während ich nachts im Bett lag und an der Tapete herumzupfte, habe ich auch geweint, weil ich wusste, dass ich deswegen Schläge bekommen und dann wieder vor allen weinen würde, sodass mich die anderen Jungs noch mehr hänseln konnten.«
    Er griff nach seiner Tasse und nahm schlürfend einen Schluck Kaffee. Ein wenig Asche fiel von seiner Zigarette, und er wischte sie von seiner Hose aufs Sofa. »Sie haben keine Ahnung, wie das ist.«
    »Nein.«

    »Ich weine immer noch. Auf dem Polizeirevier habe ich auch geweint. Haben sie Ihnen das erzählt?«
    »Nein.«
    »Sie haben mich ausgelacht, als ich weinte.«
    »Das war nicht nett.«
    »Ich dachte, Sie mögen

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