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Das rote Zimmer

Titel: Das rote Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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lieber Himmel!«, sagte sie. »Das ist ja seltsam! Ich meine, großartig. Pavic. Mein Gott. Ist er schon wach?«
    »Nein. Das heißt doch, natürlich, er ist sogar schon weg.«
    »Weg? Aha. Will Pavic. Das ist ja unglaublich. Wenn du zurückkommst, will ich jede noch so kleine Einzelheit hören!«
    »Julie! Erstens: Ich habe nicht vor, dir jede Einzelheit zu erzählen. Und zweitens: Du scheinst ja sowieso schon alles zu wissen.« Es klingelte. In der Stille, die um halb drei Uhr morgens herrschte, klang es wie ein Alarm. »Und drittens: Ich muss los.«
    Im Hinausgehen hörte ich Julie sagen: »Will Pavic. Das ist ja großartig. Phantastisch. Aber ist der Typ nicht ein bisschen seltsam?«
    Ich schüttelte den Kopf und ging. Der Wagen, der vor der Tür stand, sah aus wie ein Taxi. Ein Mann im Anzug hielt mir die Beifahrertür auf.
    »Dr. Quinn?«, fragte er.
    »Sie bringen mich zu DCI Oban?«
    »Davon weiß ich nichts. Ich setze Sie bloß am St.-
    Edmund’s-Krankenhaus ab.«
    »Gut.«
    Unterwegs fragte ich ihn, ob er wisse, worum es bei der ganzen Aktion überhaupt gehe. Da er verneinte, stellte ich ihm keine weiteren Fragen, sondern schaute nur aus dem Fenster. Es war die stillste Zeit der Nacht, aber in London kehrte niemals völlige Ruhe ein. Ein paar Zeitungsausfahrer waren unterwegs, hin und wieder mal ein Auto, ein paar Menschen, die schnellen Schrittes irgendeinem Ziel entgegeneilten. Die letzten Nacht-Schwärmer vom Abend vermischten sich mit den Leuten, die schon auf dem Weg zur Arbeit waren. Ich spürte, wie mein Puls zu rasen begann, während ich in meinem Kopf verschiedene Möglichkeiten durchging. Ein weiterer Mord. Eine Verhaftung. Was sonst konnte wichtig genug sein, um diese nächtliche Aktion zu rechtfertigen?
    »Sind Sie eine richtige Ärztin?«, fragte mich der Fahrer.
    »Mehr oder weniger.«
    »Dann kennen Sie bestimmt ein paar Leute in dem Krankenhaus?«
    »Nicht um diese Zeit.«
    Er hielt vor der Notaufnahme, wo ein uniformierter Beamter wie ein Portier vor der Tür wartete. Während ich ausstieg, murmelte der Fahrer etwas in das Funkgerät auf seinem Schoß. Er bekam eine knackende Antwort, die ich nicht verstand.
    »Ich bin Kit Quinn«, sagte ich zu dem Beamten vor der Tür.
    »Ja«, antwortete er. »Ich bringe Sie hoch.«
    Ich habe in meinem Leben schon viel Zeit an Orten verbracht, die niemals ganz zur Ruhe kommen –
    Flughäfen, Polizeireviere, Krankenhäuser – und mag sie wegen ihrer oft ein wenig verloren wirkenden Betriebsamkeit, die auch dann noch anhält, wenn es draußen dunkel ist und die braven Bürger längst schlafen.
    Vor der Tür standen ein paar Krankenwagen; ein Arzt und eine Krankenschwester liefen vorbei, aus mehreren Richtungen wurde etwas gerufen. Eine blasse junge Frau in einem weißen Mantel saß mit einer Tasse Kaffee und einem unappetitlich aussehenden Sandwich in einer Ecke und versuchte nebenbei irgendein Formular auszufüllen.
    Der Beamte führte mich eine Treppe hinauf und dann einen Gang entlang. Schon aus fünfzig Metern Entfernung konnte ich Oban auf einer Bank sitzen sehen. Nachdem er mir von weitem zugenickt hatte, gab er vor, seine Fingernägel zu inspizieren, als hätten sie etwas unglaublich Faszinierendes an sich. Erst als ich nur noch ein paar Meter entfernt war, blickte er wieder auf.
    Ich war schon gespannt auf seine Miene. Würde er mich traurig ansehen? Oder triumphierend? Wider Erwarten konnte ich seinen Gesichtsausdruck nicht deuten. Er sah aus wie ein besorgter Verwandter, der auf Nachrichten wartet, ein erwartungsvoll, aber auch etwas beunruhigt dreinblickender Vater. Außerdem sah er schrecklich aus.
    Zerknautscht, unrasiert, grau vor Müdigkeit. »Danke, dass Sie gekommen sind, Kit«, murmelte er.
    »Und?«, fragte ich. »Was ist passiert? Ein weiterer Mord?«
    »Nein«, antwortete er und versuchte zu lächeln, was ihn sichtlich anstrengte. »Ich glaube, ich habe meine Wette gewonnen. Falls es überhaupt eine Wette war. Ich wünschte, ich hätte ein besseres Gefühl dabei.«
    »Welche Wette?«
    »Wenn ich mich recht erinnere, habe ich sinngemäß gesagt, unser Mörder kurve mit seinem Auto durch die Stadt und warte auf seine nächste Chance zuzuschlagen.
    Sie hatten da Ihre Zweifel. Nun hat er wieder zugeschlagen. Oder es zumindest versucht.«
    »Wie meinen Sie das? Wer liegt hier im Krankenhaus?«
    »Ms. Bryony Teale. Oder Mrs. wie auch immer.
    Vierunddreißig Jahre alt.«
    »Ist sie schwer verletzt?«

    »Körperlich nicht. Ich habe darum

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