Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das sag ich dir

Das sag ich dir

Titel: Das sag ich dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
Vom Netzwerk:
ging, vor allem von Lacan, Freuds wichtigstem Nachfolger -, vermochte er mir immer etwas Wichtiges und Dringliches zu vermitteln. Kürzlich war ich bei einer Sitzung aus Müdigkeit in einen verträumteren Zustand als sonst verfallen. Doch das war keineswegs schlimm gewesen. Tahir sagte, da habe ich etwas Nützliches entdeckt, denn je unverkrampfter ich sei, desto näher sei mein Unbewusstes dem des Patienten. Ich hätte die Neigung, zu stark zu theoretisieren und zu schnell zu interpretieren, sagte er.
    Außerdem führte er mir vor Augen, dass ich nun einer Tradition des Zuhörens angehörte. Die Analytiker, sagte er, würden Kniffe und Wissen einander weitergeben wie Mahler dies bei Schönberg oder Pound bei Eliot getan habe. Tahir war von dem bekannten Kinderanalytiker Winnicott ausgebildet worden, der wiederum Analysen bei James Strachey und Joan Rivière gemacht hatte, die ihrerseits noch bei Freud auf der Couch gelegen hatten. Da ich so wenig über die Geschichte meiner Familie wusste - meine indischen Wurzeln waren mit dem Tod meines Vaters gekappt worden -, wusste ich nicht genau, wie ich mit der Vergangenheit verbunden war. Doch als Analytiker gehörte ich plötzlich zu einer anderen Tradition und einer anderen Familie, die mir während meiner Ausbildung Halt gab.
    Mit dem Beginn meiner Karriere kam die von Karen ins Stocken. Es war ein schwarzer Tag für sie, als sie sich eingestehen musste, aufgrund ihrer Nervosität nicht für das Fernsehen geeignet zu sein. Mit ihren weit aufgerissenen Augen wirkte sie wie durchgedreht. Selbst wenn sie nichts genommen hatte, sah sie aus, als wäre sie auf Kokain und könnte im nächsten Moment den Bildschirm durchbrechen und einem die Zähne in die Luftröhre schlagen. Doch wie sie bald begriff, lag die wahre Macht in den Medien nicht bei den Moderatoren, sondern bei den Produzenten. Also fing sie als Junior-Produzentin bei einem Kinderkanal an. Ich begleitete sie sogar ein paar Mal mit ins Studio. Was war los mit der Welt? Junge, fast nackte Moderatoren, Teenager-Bands, pubertäre Witze, Albernheiten, Interviews mit Idioten.
    »Gefällt es dir?«, fragte sie. »Vielleicht warst du nicht zugedröhnt genug, um dich entspannen zu können.«
    Ich hatte als Teenager LSD probiert, doch für meinen Geschmack hielt die Wirkung dieses ätzenden Infernos zu lange an; es war wie ein Horrorfilm, dem man nicht entkommen konnte, und ich hatte mehr als genug eigene Abenteuer im Kopf. Doch bei der Arbeit für den Kinderkanal erfuhr Karen von einer neuen Droge, die angeblich nicht ganz so solipsistisch war. Sie wurde in den Clubs von New York genommen und hieß Ecstasy oder einfach E. Es dauerte eine Weile, bis wir etwas davon auftreiben konnten, denn damals war es in London schwer erhältlich. Von da an feierten wir Ecstasy-Partys in Karens Wohnung, in der es eine große, runde Badewanne gab. Sie mochte den neuen Pop von Leuten wie Sade, Tina Turner, The Police, Frankie Goes to Hollywood, Eurythmics. Ich interessierte mich erst wieder für neue Platten, als Massive Attack während des ersten Golfkriegs Blue Lines herausbrachten - »you're the book I have open«. Angesichts der Tatsache, dass wir jede Nacht auf Ecstasy waren und einem pupillenkreisenden Hedonismus frönten - mitsamt Schuldgefühlen und Ängsten, die ich nur durch tagelanges Pauken abbüßen konnte -, begann ich, über Nutzen und Probleme der Lust und die Rolle des Vergnügens im Leben nachzudenken. Ecstasy verband mich mit anderen Menschen; es löste meine Zunge; es ließ uns im furchtbaren Sumpf tiefster Lust versinken; es war eine billige Fahrkarte an jenen Ort, den Mystiker und Psychotiker immer gesucht hatten.
    Die Musik war laut, und die Gespräche waren lau. Und nicht nur das: Um den Rausch zu verlängern, schnupften wir auch noch Kokain und waren hinterher völlig durch den Wind. Neue Clubs wurden eröffnet, riesengroß und mit gewaltigen Soundsystemen. Leiter und Besitzer waren Absolventen der Public Schools, die den »Underground« entsprechend den Vorstellungen Margaret Thatchers über Nacht in einen Markt umwandelten. Mir wurde bald klar, dass Karen mehr Geduld mit diesen Orten hatte als ich. Anders als den meisten jungen Gästen ging es ihr allerdings nicht darum, loszulassen und sich selbst zu verlieren. Stattdessen studierte sie die Kleidung und notierte sich auf der Toilette Begriffe der Jugendsprache, um all das ins Fernsehen zu bringen.
    Wir fuhren zu »Treffen« nach New York. Ich stand auf dem

Weitere Kostenlose Bücher