Das sag ich dir
nicht richtig wahrnehmen konntest, weil du zu fertig wegen Ajita warst.«
»Ich bin immerzu fertig wegen irgendjemandem.«
»Aber du hast mich auch ein bisschen geliebt, oder? Obwohl ich so dumm und schrecklich war?« Sie beugte sich zu mir, küsste mich und strich mit ihrem Handrücken über meinen Schritt.
»Ach Gott, ja«, erwiderte ich gefühlsduselig. »Ich habe dich immer mehr als nur ein kleines bisschen geliebt, Karen.«
»Ich habe oft gedacht, dass du nur zum Zeitvertreib mit mir zusammen warst. Du lässt ja nicht gern jemanden an dich heran. Erst begehrst du jemanden, und dann verkrümelst du dich.«
Ihr kamen immer schnell die Tränen, und sie begann zu weinen. Sie hatte sich die Pumps ausgezogen und fuhr barfuß, den Rock um die Oberschenkel gerafft. Mit Mitte zwanzig war sie sexy gewesen, aber schon damals hatte ihr Gewicht stark geschwankt, und sie hatte sich »die Kartoffel« genannt. Doch sie hatte immer gewusst, dass ich sie
attraktiv fand, ganz egal, wie viel sie gerade auf die Waage brachte. Was unter anderem an der Vertrautheit lag.
»Es ist noch nicht zu spät, Jamal. Können wir die Sache nicht richtig in Angriff nehmen?«
Ich gab ihr noch einen Kuss und presste meine Zunge dabei gegen die ihre, und unter den Zigaretten, dem Alkohol und dem Parfüm konnte ich einen Menschen riechen, den ich gut kannte und sehr mochte.
EINUNDZWANZIG
Mit den Linksalternativen hatte ich in der Baron's Court Road gewohnt, wo die Piccadilly- und die District-Linie direkt an meinem Zimmer vorbeiratterten und die Fenster klirren ließen. Karen erblickte ich zum ersten Mal im Gemeinschaftsraum im Obergeschoss, wo ich immer saß, wenn ich aus dem Museum zurückgekehrt war, oder wenn ich morgens mit irgendeinem ernsthaften Buch vor der Nase frühstückte - vielleicht Das Ich und das Es oder die Ecrits.
Es war eine Veganer-Küche mit Hülsenfrüchten und glutenfreier Pasta, auf der Herdplatte blubbernden Kichererbsen und dem Hefedunst von Vollkornbrot, der einem Topf mit Geschirrtuch entwölkte. Tiefste Ernsthaftigkeit also, und nun stelle man sich vor, dass eines Samstagsmorgens eine junge, nur mit Lippenstift, hochhackigen Schuhen und einer Zigarette bekleidete Frau im Gemeinschaftsraum saß, die ihre Blößen mit etwas bedecken wollte - wobei es sich am Ende um einen alten Wintermantel handelte. Sie glich einem jener Filmstars, die manchmal in der Bromley High Street aus dem Taxi stiegen. Natürlich liefen auch andere Leute nackt in der Wohnung herum, doch diese - ob Frauen oder Männer - wollten damit nur ihre aufrechte Gesinnung zum Ausdruck bringen.
Eine Mitbewohnerin war mit Karen an der Uni gewesen, und diese hatte nach einer Party im Haus übernachtet. Als sie von einer der zänkischen Anwältinnen »TV-Nutte« genannt wurde - eine neue Spezies, auch wenn ich das damals nicht wusste, aber irgendein gemeiner Klugscheißer hatte intuitiv erkannt, dass Karen in gewisser Weise für die Zukunft stand -, kam mir der Gedanke, dass sie und ich vielleicht etwas gemeinsam hatten.
Sie blieb das ganze Wochenende, und seit Ajita hatte mich niemand mehr so zum Lachen gebracht wie Karen. Dass sie von allen anderen Hausbewohnern aus Prinzip nicht gemocht wurde, hob meine Stimmung ungemein. Wenn Karen nicht telefonierend herumtigerte, schaute sie Soaps, hatte dabei einen Stapel Cosmopolitans vor sich liegen und lackierte ihre Fingernägel. Nach all dem Mist, den ich durchgemacht hatte, gaben mir ihre Taktlosigkeit, Vulgarität und laute Art einen Kick. Was sie in mir sah, weiß ich beim besten Willen nicht, da müsste man sie selbst fragen. Die Sache konnte nur ein böses Ende nehmen.
Früher wollte jedes Mädchen Schauspielerin werden, aber in den Achtzigern war Fernsehmoderatorin das Ideal. Damals arbeitete Karen als Fernsehreporterin bei einem Lokalsender außerhalb Londons. Ich musste mir einen Fernseher kaufen und nach Hause schleppen, um sehen zu können, wie sie über Provinzpolitik und Einbrüche, ja sogar über das Wetter redete - vorausgesetzt, die Antenne zeigte in die richtige Richtung.
Sie verdiente nicht viel, ahnte aber, dass sich das bald ändern würde; sie war sich der Tatsache bewusst, dass sie frühzeitig in eine Branche eingestiegen war, die ein fast grenzenloses Wachstumspotenzial besaß. Wenn Großbritannien langsam entindustrialisiert wurde - man produzierte weder Autos noch Schiffe oder Kleider mehr -, womit sollten die Leute dann ihr Geld verdienen? Würden sie kellnern, Computer bauen oder
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