Das sag ich dir
umtriebig, hatte eine kleine Zeitschrift und einen winzigen Verlag. Er vertrieb seine Sachen selbst und schleppte die Bücher in einem Koffer von Buchladen zu Buchladen. Er wollte drei Gedichte von Lisa in seiner Zeitschrift bringen und bat sie um einen Essay über moderne Lyrik.
Sie war etwas erbost, weil die Gedichte nicht im Times Literary Supplement erschienen, schien die Bemühungen des jungen Mannes aber zu würdigen. Sie willigte ein, sich mit ihm zu treffen und ihm zu helfen, sein Programm in den Buchläden an den Mann zu bringen.
Mir war sogar die wenige Zeit zu viel, die Lisa von mir verlangte. Ich arbeitete hart. Meine Praxis wuchs. Ich hatte mehr Anfragen, als ich Patienten annehmen konnte. Aber da ich das Geld dringend brauchte, vereinbarte ich mit den neuen Patienten sehr frühe Termine.
Eines morgens, in den oft hektischen zehn Minuten zwischen zwei Sitzungen, kam Maria herein, ohne Kaffee und mit einer besorgteren Miene als üblich.
Sie sagte, Ajita habe angerufen, um mir mitzuteilen, dass Wolf über Nacht in ihrem Haus in Soho gestorben sei.
Mein erster Gedanke war: Bedeutet das meinen Freispruch oder meine Verurteilung?
FÜNFUNDVIERZIG
Mustaqs Büro hatte die Schwester Wolfs in Deutschland ausfindig gemacht und für die Überführung seines Leichnahms gesorgt. Ajita hatte Mustaq darüber informiert, dass Wolf in England keine Familie habe und dass sie nicht zur Beerdigung wolle. Das wollte ich auch nicht, wenn auch aus anderen Gründen.
»Meine Güte, Herzchen, du wirkst ja noch verstörter als ich«, sagte sie, als ich abends erschien. Sie saß auf einem Sofa in einem stillen, kleinen privaten Club hinter der St. Martin's Lane. »Besorg dir zur Beruhigung einen Drink. Was für eine Scheiße!«
»Erzähl mir, was passiert ist, Ajita.«
»Wir hatten miteinander geschlafen«, sagte sie. »Wolf hatte sich erhoben und stand in Mustaqs Bademantel am Fußende des Bettes. Und plötzlich stellte ich fest, wie sehr er meinem Vater ähnelte. Er war eine Mischung aus Mustaq und Dad. Ich habe Wolf die ganze Zeit von mir erzählt, aber eigentlich wollte ich ihn nicht wirklich kennenlernen. Wir haben nur diese irrsinng intensiven Dinge miteinander gemacht. Ich schäme mich fast dafür, wie befriedigend es war. Manchmal hatte ich das Gefühl, ihn zu benutzen. Nicht, dass er die Sache so gesehen hätte.
Vor einer Weile ist vor dem Club, in dem er gearbeitet hat, ein Mann mit Messer auf ihn zugekommen und hat gedroht, ihm den Bauch aufzuschlitzen. Am Ende ist zwar nichts passiert, aber Wolf hat trotzdem geheult. So wollte ich ihn nicht sehen - wie ein Kind.« Sie sagte: »Und du? Wirst du ihn wenigstens ein bisschen vermissen?«
»Ich fand ihn diesmal ziemlich aggressiv. Und bedürftig war er auch.«
»Es hat ihm nicht gepasst, dass wir uns getroffen haben. Er war richtig angepisst. Er hat gemeint, dass du nicht herzlich genug zu ihm seiest und keine Zeit für ihn hättest. Dass du eure alte Freundschaft nicht wieder erneuern wolltest.«
»Ich hatte zu viel anderes im Kopf.«
»So etwas solltest du niemandem antun, Jamal«, sagte sie. »Aber mit welchem Recht sage ich das? Im Grunde war ich noch schlimmer, denn ich habe immer nur von mir geredet. Nachdem er von diesem Typen angegriffen worden war, hat er sich über Atemprobleme und Schmerzen in der Brust beklagt, aber ich dachte, das würde sich legen. Warum bin ich nicht mit ihm zum Arzt gegangen?« Sie fuhr fort: »Während er auf den Rettungswagen gewartet hat, hat er mich um Vergebung gebeten. Ich habe erwidert, das könne nur Gott oder ein Priester.«
»Vergebung für was?«, fragte ich. Sie zuckte nur mit den Schultern. Meinem Gefühl nach wollte sie noch mehr sagen, doch sie sah fort. Ich fragte: »Sollen wir hier etwas essen? Gibt es hier einen Raum, wo wir allein sein können?«
Zu meiner Überraschung erwiderte sie: »Tut mir leid, Jamal, aber das schaffe ich jetzt nicht. Ich muss nach Hause. Ich finde es schrecklich, dass du mich in diesem Zustand siehst.« Sie bezahlte die Rechnung und ließ mich allein.
Danach hörte ich erst einmal nichts mehr von ihr. Sie ging nicht ans Telefon, und wenn ich nach Soho fuhr und an ihre Tür klopfte, erhielt ich entweder keine Antwort, oder die Hausangestellten, die die Tür nur eine kleinen Spalt öffneten, sagten mir, dass niemand daheim sei.
Da ich mir Sorgen um sie machte, rief ich Mustaq in Amerika an. Ich wusste mir keinen anderen Rat. Ajita hatte ihm gesagt, er brauche nicht nach London
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