Das sag ich dir
ekelhaft, dumm und faschistisch bist!« Mutter ging Miriam daraufhin an die Kehle. Wenn sie handgreiflich wurden, rannte ich immer aus dem Haus und setzte mich im Park in den Schuppen, rauchte, träumte von der Zukunft und stöhnte vor mich hin: »Ich muss doch irgendwie abhauen können ...«
Ich hatte nie genau gewusst, was ich später werden wollte. Dad hatte in dieser Hinsicht weder Wünsche noch Verbote geäußert. Wahrscheinlich hatte er einfach keine Lust, Miriam zu sagen, wie sie sein sollte. Mir schenkte er mehr Aufmerksamkeit, zog mich oft an sich und küsste mich auf die Wangen, zerraufte mein Haar, zeigte seine Bewunderung ganz handfest und sagte, ich würde mir zu viele Sorgen machen. Ich konnte ihn überreden, mir Klamotten und Bücher zu kaufen; ich wusste, wie ich ihn einwickeln konnte. Unsere Liebe füreinander war leidenschaftlich und zärtlich. Vermutlich hatte Miriam unsere Mutter, und ich hatte gelegentlich unseren Vater, fühlte mich aber schuldig, weil er mich vorzuziehen schien.
Dad gab mir noch etwas, und dafür habe ich mich nie bei ihm bedankt. Einmal ging ich allein zu seinem Hotel, und als ich in seinem Stockwerk auf den Fahrstuhl wartete, sah ich eine Frau, klein, Mitte dreißig und so schlicht gekleidet wie für ein Bewerbungsgespräch - keine der üblichen umwerfenden Schönheiten. Dads Tür war noch nicht ganz zu, und ich huschte in sein Zimmer und stellte fest, dass er schlief oder einfach hinüber war. Der Duft ihres Parfüms hing noch in der Luft.
Ich rannte nach unten auf die Straße und rief ihr nach. Sie zögerte, bevor sie reagierte. Ich dachte, sie würde sofort verschwinden, doch sie blieb stehen und sah mich überrascht an. Sie ging mit mir auf einen Drink in den Pub gegenüber, nervös und enttäuscht, eine Jean-Rhys-Heldin in schäbigen Schuhen, verhärmt und vom Gin gezeichnet. Ich stellte ihr eine Frage, dann noch eine, bis sie mir mit leiser, krächzender Stimme ihre Geschichte erzählte. Als uns der Gesprächsstoff ausging, war ich so dreist, ihr eine ganz naive Kinderfrage zu stellen: Wie viel sie verlange? Sie lachte und nannte mir einen Preis. Ich hatte natürlich weder so viel Geld bei mir, noch konnte ich sie mit auf ein Zimmer nehmen. Ich konnte nicht mit Dad mithalten. Wenn ich dreister gewesen wäre, hätte ich sie vielleicht um einen Familienrabatt gebeten. Trotzdem entwickelte ich damals eine Vorliebe für Huren - wie es so schön in der Werbung heißt: Wenden Sie sich im Zweifelsfall an einen Experten -, obwohl man genau wie bei ganz gewöhnlichen Mädchen immer auf die Richtige wartet, auf eine, die man mag und von der man gemocht wird.
Vater hatte mir einmal erzählt, dass er eigentlich Arzt hatte werden wollen wie sein Vater, und dass er nichts dagegen hätte, wenn ich diesen Beruf ergreifen würde. Anders als viele frühe Freudianer, die Mediziner gewesen waren, hatte ich keine Begabung für Medizin oder Chemie, aber wie ich feststellte, hinderte mich das nicht daran, ein Arzt der Seele zu werden.
»Egal, was du später machst«, sagte Dad auf seine scheue, wohlmeinende Art, »enttäusch mich nicht und erweis dich nicht als Trottel.« Analytiker zu werden löste wohl viele meiner Probleme. Auf jeden Fall bot sich mir dadurch die Gelegenheit, viel Zeit mit Leuten zu verbringen, die mich darüber nachdenken ließen, was den Menschen ausmacht.
Ajita und ich konnten viel Zeit miteinander verbringen, weil man ihrer Tante weisgemacht hatte, das College sei ein Vollzeitjob mit gelegentlichen abendlichen Vorlesungen. Ihr Vater war selten zu Hause. Er kam sechs Tage in der Woche um zehn Uhr abends aus seiner Fabrik zurück und ging in aller Frühe aus dem Haus. Am Sonntag besuchte die Familie Verwandte in Wembley, und Ajita tanzte im Schlafzimmer mit ihren Cousinen.
Das war eine sehr angenehme späte Jugend. Die Universität war damals eine Mischung aus verlängerten Ferien und den Abschlussprüfungen an der Schule. Doch anders als in der Schule gab es weder Druck noch Büffelei, und die heutigen Sorgen um Geld oder Karriere waren uns weitgehend fremd. Es war mir egal, welche Zensuren ich bekam, denn niemand fragte mich danach.
Ich las mehr als je zuvor, und das mit einer Leidenschaft, die neu und überraschend für mich war. Ich glich jemandem, der bis vor kurzem gelähmt gewesen war und auf einmal merkte, dass er springen und rennen konnte. Einer meiner Dozenten sagte: »Schreiben Sie über irgendetwas, das Sie interessiert.« Ich arbeitete über den
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