Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das sag ich dir

Das sag ich dir

Titel: Das sag ich dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
Vom Netzwerk:
einen Amerikaner gehalten hatte. Er hatte Drogen nach Mexiko befördert und sich bei einem Arztbesuch durch eine dreckige Nadel eine Vergiftung eingehandelt. Außerdem diskutierte er gern über die Qualität der Bordelle im brasilianischen Ipanema. Man hielt ihn selten für einen Kriminellen, aber häufig für einen Bullen, und das war viel schlimmer!
    Wie so viele Gangster war auch er etwas - nein, sogar sehr -psychotisch. Er war nicht neurotisch wie ich oder die meisten Leute, die ich kannte, sondern überdurchschnittlich, rational, leidenschaftlich, überzeugend und ein großer Lügner. Er war zeitig wach und bereitete für alle das Frühstück zu. Oder wir ertappten ihn dabei, wie er Liegestütze machte oder Gewichte stemmte. Er war hochgradig organisiert und liebte es, Pläne zu schmieden und alle mit einzubeziehen. Im Gegensatz dazu war Valentin jemand, der sich gern amüsierte. Er war attraktiv, ja man könnte sogar sagen: elegant oder schick, vor allem, wenn er ein dunkles Polohemd und eine schwarze Jacke trug. Doch er hatte etwas von Kierkegaards Düsterkeit, und wegen seiner seelischen Wunden fehlte ihm, was Wolf auszeichnete: ein sympathisches Selbstvertrauen, Prahlerei, Ernsthaftigkeit.
    Wie gern trieb ich mich mit diesen beiden unangreifbaren Männern herum. Ich war das eifrige, kleine Kind, und sie schauten gönnerhaft auf mich herab, wenn ich ihnen mit Witzen, Gassensprache und harten Sprüchen zu gefallen versuchte. Wolf und Valentin unterhielten sich oft auf Französisch oder Deutsch, aber das machte mir nichts aus, denn ich war es gewohnt, von Menschen umgeben zu sein, deren Sprache ich nicht verstand. Wenn Vater in London war - er kam mindestens zweimal pro Jahr und blieb immer ein paar Wochen -, traf er sich nur selten allein mit Miriam und mir. Seine vielen Freunde oder »Chumchas«, die Urdu und Punjabi sprachen, Anzüge oder Salwar Kameez trugen, tranken und politische Witze erzählten, hielten sich immer bei ihm in den »Etagenwohnungen« in der Nähe von Marble Arch oder Bayswater auf, die er samt Dienstpersonal mietete.
    Manchmal ging er einfach abends mit uns essen, und dann sprach er über Politik. Er war links, vermutlich Kommunist, ein Antiimperialist - naturgemäß - und ein Unterstützer Maos, der Vietcongs und der Studenten. Wie Vater erklärte, waren ihm die Bauern in den indischen Dörfern als Kind genauso fremd gewesen wie die Bewohner eines englischen Dorfes. Aber da er von seinem Vater, einem Hauptmann der Armee, malträtiert worden war, hatte er sich immer ein Stück weit mit jenen Menschen identifiziert, die man damals die »Unterdrückten« nannte.
    Später am Abend, wenn Miriam und ich daran dachten, mit dem Zug in die Vororte zurückzufahren - oder jedenfalls ich, denn sie ging oft in London zu Partys und blieb dann gleich mehrere Tage in der Stadt -, kreuzten Dads Freundinnen auf, atemberaubende Schönheiten, die noch dazu etwas im Kopf hatten.
    Ich freute mich immer, Vater zu sehen, ob er nun allein war oder nicht, doch Miriam, entweder auf Tranquilizer oder Speed oder beidem, war oft furchtbar enttäuscht. Sie malte sich immer aus, stundenlang allein mit unserem Vater zu sein und Geheimnisse und Herzeleid auszutauschen. Ihr Vater wollte sie doch bestimmt kennenlernen; er musste fasziniert sein, es ging gar nicht anders. Ein paar nette Worte von ihm, und sie würde aufhören, über die Stränge zu schlagen. Er habe es nicht nur versäumt, sie vor Rassismus zu schützen, sondern er habe sie mitten hineingestürzt, behauptete sie.
    Also wartete sie darauf, dass Dad den Mund aufmachte, um ihr zu sagen, wie stolz er auf sie war. Aber diese Art von Beziehung konnte er zu einem Mädchen gar nicht aufbauen. Nachdem wir gegangen waren, schlenderten wir durch die King's Road, und ich stellte ihr jedes Mal Fragen, deren Antworten ich schon kannte. »Was hat Dad gesagt?« »Nichts.« »Echt?« »Absolut gar nichts.« »Hast du ihm erzählt, dass du schwanger bist?« »Nö.« »Hat er dich gefragt, was du machst?« »Ja.« »Was hast du ihm erzählt?« »Wenig.«
    Meine Eltern hatten sich an der London School of Economics kennengelernt, wo mein Dad Internationale Beziehungen studiert hatte. Eine Freundin - Billie - hatte Mum zu einem Tanz dorthin mitgenommen, weil sie glaubte, Mum wäre mit einem Intellektuellen besser bedient. Sie gingen alle zusammen essen im India Club an der Strand. Mum sagte, sie sei nie jemandem begegnet, der einen so mit seinen Geschichten habe bezaubern

Weitere Kostenlose Bücher