Das sag ich dir
waren?
Tahir Hussein erklärte mir, dass man der Methode am leichtesten näher komme, wenn man gar nichts darüber wisse. Um Auto fahren zu können, müsse man ja auch nicht wissen, was sich unter der Motorhaube verberge.
»Sind Sie ein Mechaniker der Seele?«, fragte ich.
Er forderte mich auf, mich hinzulegen und alles zu sagen, was mir durch den Kopf ging. Ich fing sofort an, fest entschlossen, in den Genuss der gesamten freudianischen Erfahrung zu kommen. Er saß zwar hinter mir, doch sein Atem verriet mir, dass er sich zu mir hinneigte. Vermutlich kratzte er sich am Kinn und spitzte die Ohren. »Die Sache ist die ...«, sagte ich.
Ich legte los: Halluzinationen, Panikattacken, unerklärliche Wutanfälle, wilde Leidenschaften und wirre Träume. Als er sagte, wir müssten für heute Schluss machen, schien erst eine Minute vergangen zu sein. Sobald ich draußen auf der Straße stand, wissend, dass ich in wenigen Tagen wiederkommen würde, durchrauschten mich Wellen des Schreckens; mein Körper explodierte. Um nicht zusammenzubrechen, hielt ich mich an einem Laternenpfahl fest. Mein Stuhlgang begann, verrückt zu spielen. Kot rann mir an den Beinen hinab und bis in die Schuhe. Ich fing an zu weinen; dann musste ich mich erbrechen - ich erbrach die Vergangenheit. Mein ganzes Hemd war vollgekotzt. Mein
Inneres war nach außen gekehrt worden, und das vor aller Augen. Kein angenehmer Anblick, und mein Anzug war im Eimer, aber irgendetwas war in Gang gekommen. Bald liebte ich meinen Analytiker mehr als meinen Vater. Er gab mir mehr; er rettete mir das Leben; er prägte mich.
Als ich Tahir Hussein nach einigen Sitzungen fragte, wie ich seiner Meinung nach für meine Analyse bezahlen solle, sagte er nur: »Sie werden das Geld schon auftreiben.«
Das brachte mich zum Nachdenken. Mir fiel ein, dass der Mann, der mir Tahirs Telefonnummer gegeben hatte, in der Mittagspause stets die Renn-Gazetten studierte, aber nie auf Pferde wettete, obwohl er laut seinen Worten jede Menge Geld damit hätte machen können. Ich erläuterte ihm, wie es derzeit bei Tahir Hussein um mich bestellt war, und bat ihn noch einmal um Hilfe. »Kinderleicht«, sagte er und gab mir einen Tipp für den folgenden Tag. Ich setzte alles, was ich hatte, auf den Gaul - ungefähr zweihundert Pfund, die ich für meine Miete gespart hatte -, und gewann über zweitausend Pfund, die ich für meine Behandlung ausgab. Ich ging an drei Morgen pro Woche hin. Es war ernsthaft und intensiv, und es war das erste Mal, dass ich mich selbst für voll nahm - als wäre das, was mir widerfuhr, sonst völlig unwichtig -, und zwar keine Sekunde zu früh.
Wie mir mein Akademiker-Freund erklärte, bestand einer der Vorzüge der Psychoanalyse in England darin, dass sie nicht nur von Frauen, sondern von Menschen aus aller Herren Länder entwickelt worden war - worunter er europäische verstand. Tahir Hussein stellte jedoch eine Ausnahme unter den Analytikern dar, denn er war ein indischer Muslim. Er hatte eine feine Wohnung in einer feinen Gegend, South Kensington. Ein Gang durch die Straßen reichte mir schon, um die Wellen des Hasses zu spüren, den mir die dortigen Passanten entgegenbrachten.
Tahirs Wohnung quoll über von Krügen und Teppichen, von Möbeln, die man polieren, Gemälden, die man versichern, Skulpturen, die man einstöpseln musste. Dazu kam eine gewisse Extravaganz. Erwartet hatte ich einen stillen Typen mit Anzug und Fliege. Aber Tahir hatte etwas von einem Selbstdarsteller, der sich in die Ethnogewänder der Nachkriegszeit hüllte. Er konnte einen Salwar Kameez tragen, einen Kaftan, bunte Hippiehosen, ja sogar einen Fez oder arabische Schlappen mit gekringelter Spitze. Manchmal kam er mir nicht vor wie ein Arzt, sondern wie ein vorn auf einem Pier stehender Magier.
Trotzdem besaß er die komplette exotische Ausstrahlung und Präsenz eines Arztes: Mit der dunklen Haut und den langen, ergrauenden Haaren wirkte er herrschaftlich, gutaussehend, imposant. Ihm dürfte bewusst gewesen sein, dass man ihn lächerlich finden konnte; vermutlich zweifelten nur wenige daran, dass er grausam, arrogant, Alkoholiker und mehr als nur eine Spur narzisstisch war. Doch er gestand sich wohl das Recht zu, so weit wie möglich er selbst zu sein. Wie für andere angesagte Seelendoktoren bestand auch für ihn die Aufgabe der Analyse nicht darin, die Patienten in brave Konformisten zu verwandeln. Stattdessen wollte er den Menschen die Möglichkeit geben, so verrückt zu sein, wie
Weitere Kostenlose Bücher