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Das sag ich dir

Das sag ich dir

Titel: Das sag ich dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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Universität besucht hatten; so funktionierte das in England. Aber ich war noch gesund genug, um zu begreifen, dass ich ohne Hilfe wieder in ein schwarzes Loch fallen würde. Wochenlang unterließ ich es, diesen Mann anzurufen, weil ich mir immer noch einredete, es allein schaffen zu können, und weil ich hoffte, dass meine Krankheit wie durch Zauberhand verschwinden würde. Dann ein neuer Tag; morgens, vor der Arbeit im Museum. Ich stand auf der Straße. Alle Leute beugten sich vor, sie sahen aus wie rennende Tische. Alle hatten ihre Aufgabe, jeder hatte ein Ziel. Dort angekommen, konnten sie viel erzählen. Und ich, hatte ich etwa keine Pläne? Fast hätte ich behauptet, sie vergessen zu haben, aber nein - ich hatte meine Pläne nicht in irgendeinem Winkel meines Geistes verlegt. Stattdessen versorgte mich die Zukunft nicht mehr mit Kraft, das war es. Ich war zu verwirrt von den wilden Aufwallungen verrückter Gefühle. Meine Wünsche waren schon viel zu schwach, um überhaupt noch erlöschen zu können. Eine Ohnmacht kann man genauso wenig erzwingen wie einen Traum, ein Lachen oder einen Furz, das ist mir klar. Ich wünschte so sehr, von diesem Leid erlöst zu werden, dem ich manchmal den Tod vorgezogen hätte. Ich dachte nicht an Selbstmord, sondern wollte nur diesen wirbelnden Strudel loswerden. Da erblickte ich eine rote Londoner Telefonzelle, vor der eine Lücke oder ein Graben klaffte. Ich war überrascht, dass sie funktionierte; ich war überrascht, dass ich Kleingeld hatte; ich war überrascht, dass es klingelte, und auch, dass Tahir persönlich abnahm. Vor allem überraschte mich, dass er mich zu sich bat. Er sagte, er wolle mich behandeln. Ich solle gleich morgen kommen. Er nannte mir seine Adresse und sagte nur: »Kommen Sie um acht Uhr früh, dann fangen wir an.«
    Wenn ich mehr als eine Woche hätte warten müssen, wäre ich nicht hingegangen. Das Warten war noch eine meiner Phobien. Vielleicht starb ich ja in der Zwischenzeit? Außerdem wusste ich, dass eine Therapie teuer war, und ich verdiente nicht viel. Doch ich hatte keine Alternative, und ich konnte mit wenig Geld auskommen. Das war ich mir wert. Aber würde ich ihm je die ganze Wahrheit erzählen?
    SIEBEN
    Als ich das Zimmer betrat, in dem sich mein Leben verändern sollte, hatte ich keinen blassen Schimmer, was eine Analyse bedeutete, obwohl ich einiges von Freud gelesen hatte, vor allem in Pakistan, und ich kannte auch niemanden, den ich hätte fragen können.
    In dem linksalternativen Haus, in dem ich wohnte, lag Das Unbehagen in der Kultur unter meinem Bett, neben meinen Lieblingspornoheften, Game und Reader's Wives, die ich allerdings unter einem Taschenbuch von E. P. Thompson versteckt hatte. Dies deshalb, weil der Begriff der »Klasse« das Paradigma der jungen Intellektuellen war, ein nützliches Konzept, leicht zu handhaben und außerdem nicht so brisant wie die Sexualität. Die Probleme der Arbeiterklasse lagen nicht etwa darin, dass man als menschliches Wesen geboren wurde und in Familien lebte, sondern sie entsprangen dem Klassenkampf. Sobald dieser durch soziale Umwälzungen aus der Welt geschafft worden war, würden sich die meisten Probleme von selbst lösen. Die restlichen paar Stolpersteine konnte man durch maoistische Gruppendiskussionen aus dem Weg räumen. Die Linke war puritanisch: Später, im Himmel auf Erden, durfte man nach Herzenslust ficken, aber jetzt hatte es Priorität, auf Veränderungen hinzuarbeiten. Man beschimpfte Freud als weißes, bourgeoises, patriarchalisches Schwein, und die Psychoanalyse galt als verstaubte Theorie. Welche Frau würde schon zugeben oder auch nur die Vorstellung akzeptieren, dass sie uns um unsere kleinen Schwänzchen beneidete - obwohl genau das den Kern des Feminismus bildete, oder? (Laut Adorno liegt die Wahrheit der freudianischen Psychoanalayse in ihrer Überzeichnung.)
    R. D. Laing - nach den Fernsehkomödianten meist »die zwei Ronnies« genannt - wurde dennoch von Studenten angebetet, verrücktes Betragen wurde oft idealisiert, und neue Therapieformen, krause Mischungen aus Wien und Kalifornien, schössen wie Pilze aus dem Boden. Ich wusste, dass Lennon und Ono gemeinsam mit Janow gekreischt und sich auf dem Boden gewälzt hatten, und herausgekommen war das großartige Album der Plastic Ono Band. Aber ich glaubte nicht, dass mir irgendetwas davon helfen konnte. Was war denn mit den stillen Verrückten, mit all den Gestörten, die ganz gewöhnlich und noch dazu unphotogen

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