Das sag ich dir
beschäftigt. Sie war eine Pakistanerin und gehörte in Großbritannien zu einer Minderheit, aber es gab noch etwas anderes, zu dem sie eine tiefe spirituelle und mystische Verbindung hatte, fast im Sinne des Sufismus. Um sich auf die Reise vorzubereiten, hatte sie sich einer Truppe wirbelnder Derwische in Notting Hill angeschlossen. Als sie mir das Gewirbel in Heathrow vorführte, kam es m ir recht zahm vor und erinnerte mich an eine Tanztee-Variante. Doch wir würden schon noch merken, wie spirituell Pakistan in Wahrheit war. In dieser Hinsicht hatten wir eine Waffe an der Schläfe.
Papas Diener machte uns schon bald Tee und Toast. Papa, nicht nur dünn, sondern so zerbrechlich wie eine Plastik von Giacometti - und dennoch würdevoll in seinem weißen Salwar Kameez und seinen Sandalen -, teilte uns mit, dass wir nicht bei ihm, sondern bei unserem Onkel Yasir wohnen würden, seinem älteren Bruder. Um ehrlich zu sein, war das eine Erleichterung.
»Was zum Teufel ist das hier? Ein besetztes Haus?«, fragte Miriam, als wir allein miteinander waren.
Wie sich herausstellte, lebte Vater, den all jene, die er in England zurückgelassen hatte, für einen Aristokraten hielten, in einem Loch von Wohnung mit Wänden, von denen der Putz platzte, bloßliegenden Kabeln und abgewrackten Möbeln, die so willkürlich in der Gegend herumstanden, als müsste erst noch ein Platz für sie gefunden werden. Durch die Fenster wurde Staub hereingeweht und lagerte sich auf den wirren, auf dem Fußboden raschelnden Zeitungsstapeln und auf den Packen weißen, unbenutzten Papiers ab, das sich in der Hitze zu wellen begann.
Am späten Vormittag sagte Papa, er müsse seine Kolumne schreiben, und ließ uns von seinem Diener zu Yasir fahren. Dieser besaß ein großes, einstöckiges Haus, das an eine Villa in Beverly Hills erinnerte, wie man sie aus dem Kino kannte. Es gab einen leeren Swimmingpool voller Laub, durch das Ratten und anderes Getier huschten.
Miriam war sauer, weil wir nicht bei Dad wohnten, aber ich genoss das Abenteuer. Als Vorstadtkind, das in mehr oder weniger mittellosen Verhältnissen aufgewachsen war, wusste ich einen gewissen Luxus zu schätzen. Und bei Yasir gab es Luxus.
Es war ein Haus der hirschkuhäugigen Schönheiten. Vier davon gab es bestimmt. Ich nannte sie das »Raj-Quartett«. Natürlich trauerte ich immer noch Ajita nach, und ich ging auch weiter davon aus, dass wir wieder zusammen wären, wenn sie nach London zurückkehrte. Ich hatte sie nie ganz abgeschrieben. Zu einem passenden Zeitpunkt würde ich ihr erzählen, was mit ihrem Vater passiert war. Sie wäre zwar schockiert, würde mir aber vergeben, weil sie einsehen musste, dass es notwendig gewesen war. Wir wären einander näher als je zuvor; wir würden heiraten und Kinder bekommen.
Zwischenzeitlich, dachte ich, könnte mich dieses Quartett dunkelhäutiger, langhaariger Frauen, die uns aus einer Tür anstarrten -Onkel Yasirs Töchter -, über den Schmerz hinwegtrösten.
Ich betrachtete die Mädchen und stand vor der Qual der Wahl - etwa so wie eine Katze, der man eine Kiste mit gefangenen Mäusen anbietet -, als es plötzlich einen Aufruhr gab. Allem Anschein nach war ein tollwütiger Hund auf dem Dach. Wir rannten hinaus, um zuzuschauen, wie er von Dienern mit langen Stangen gejagt wurde. Die Diener verpassten ihm ein paar saftige Schläge, und der Hund lag verletzt draußen auf der Straße und winselte erbärmlich. Als wir später wieder nach draußen gingen, war er tot. »Ihr mögen unser Land?«, fragte der Wächter des Hauses.
Wie Miriam erfuhr, musste sie nicht nur ein Zimmer mit zwei ihrer Cousinen teilen, sondern auch mit einer ganzen Schar Kinder und unserer Großmutter, allem Anschein nach eine Prinzessin. Diese alte Frau sprach kaum ein Wort Englisch und wusch ständig ihre Hände und Kleider. Den Rest ihrer Zeit verbrachte sie mit Beten und dem Studium des Korans.
Das Haus war groß, aber die Frauen blieben in ihrem Bereich und waren wie zusammengeschweißt. Also wurden Miriam und ich getrennt, und genau wie zu Hause beschäftigten wir uns jeden Tag auf unterschiedliche Art. Ich las gern in den Büchern, die ich mitgenommen hatte, und Miriam ging mit den Frauen auf den Markt und kochte
danach mit ihnen. Abends kam Dad mit seinen Freunden vorbei, oder ich fuhr mit ihm dorthin.
Wenn Papa seine Kolumne schrieb, womit er frühmorgens begann, saß ich in seiner Wohnung und lauschte den Helden von Ska und Blue Beat, während mich sein Diener
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