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Das sag ich dir

Das sag ich dir

Titel: Das sag ich dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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hier alle in großer Gefahr.«
    Das war nicht nur paranoid. Damals wusste niemand, welche Wendung das sogenannte Rassenproblem nehmen würde. Mein Vater hatte oft behauptet, »die Verfolgung« könne jeden Tag beginnen. Wenn sie losgehe, würde er kommen und uns holen.
    »Danke, Dad«, sagte ich nur.
    »Aber wo sollen wir denn leben?«, fragte ich Ajita. »Kann ich mitkommen?«
    »Mein Onkel passt auf mich auf. Wir bleiben in Kontakt, Liebster.«
    Das Nächste, was ich von Ajita hörte - sie rief vom Flughafen an -, war, dass sie, Mustaq und der Onkel in Begleitung der Tante, die mit im Haus gewohnt hatte, den Leichnam des Vaters zur Beerdigung nach Indien überführen wollten. Das Haus stand zum Verkauf.
    »Auf Wiedersehen«, sagte sie. Und bevor ich fragen konnte, wann sie zurück sei, fügte sie hinzu: »Warte auf mich und vergiss nie, dass ich dich immer lieben werde.« Dann legte sie auf.
    Ich verfolgte den Fall in den Nachrichten und studierte alle Zeitungen, die es in der College-Bibliothek gab. Die Anklagen gegen die angeblichen Mörder wurden nach einer Weile fallengelassen. Es gab viele Spekulationen über einen rassistisch motivierten Überfall weißer Verbrecher, und die Linke warf der Polizei vor, die Übergriffe von Rassisten nicht ernst genug zu nehmen. Doch es fehlten jegliche Hinweise. Abgesehen von der Uhr hatten wir nichts mitgehen lassen; es gab weder Fingerabdrücke noch Blut.
    Die Fabrik wurde geschlossen; die Streikposten trollten sich. Die Unfähigkeit der Polizei, mich aufzuspüren, verblüffte mich. Vermutlich hätte ich schnell gestanden, aber es gab ja keine Beweise, die mich mit dem Toten in Verbindung hätten bringen können.
    Als Resultat dieses raffinierten Schurkenstücks sah ich Ajita nie wieder. Sie war nach Indien geflogen, und wie sollte ich sie dort finden? Ich wartete und sagte Mum, sie solle sich die Nummer notieren, falls sie anrief, aber sie meldete sich nicht bei mir.
    Ajita war weg. Dass es ein endgültiger Abschied sein sollte, war mir nicht klar. Ich hatte nicht vor, jung zu heiraten. Was blieb, war das Schweigen. Jene drei Menschen, die meine engsten Freunde gewesen waren - Valentin, Wolf, Ajita -, waren verschwunden.
    Ich stand auch aus einem anderen Grund unter Schock: Ich hatte den Vater zwar nicht mit meinen Händen getötet, aber ohne mein Zutun wäre er am Leben, vielleicht sogar noch heute.
    Ich hatte ihn umgebracht, und von da an nannte ich mich im Stillen einen »Mörder«.
    SECHZEHN
    Das Flugzeug dürfte gegen drei Uhr früh gelandet sein.
    Ich musste Miriam rütteln und schütteln, damit sie endlich aufwachte. Sie hatte in Brixton in einer besetzten Wohnung gelebt, aber unbedingt von dort verschwinden wollen. Vor kurzem hatte es in dem Viertel Krawalle mit der Polizei gegeben, und Miriam war eine ganze Woche auf den Beinen gewesen, hatte Beamte mit Backsteinen beworfen und war im Rechtsbeihilfe-Zentrum eingesprungen. Das aktuelle Graffito gab den guten Rat: »Helft der Polizei - schlagt euch selbst zusammen.«
    Miriam hatte natürlich etwas für ihre Nerven genommen - Hustensaft, glaube ich, eines ihrer Lieblingsmittel, das sie immer knapp am Nirwana vorbeischlittern ließ. Ich hatte ihre Sachen gemeinsam mit ihr in ein paar Hippie-Beutel gestopft, und dann hatte ich sie mit in die Dritte Welt geschleift. Dort wäre man bestimmt beglückt über sie.
    Es war noch dunkel, wurde aber langsam wärmer. Im Chaos draußen vor dem Flughafen rotteten sich Scharen zerlumpter Bettler bedrohlich dicht um uns zusammen; die Frauen fielen vor Miriams roten Doc Martens auf die Knie und küssten das Leder.
    Um zu entkommen, sprangen wir in das erstbeste Auto, das sich anbot, uns mitzunehmen. Ich war nervös, weil ich nicht wusste, wie wir uns hier zurechtfinden sollten, doch Miriam, die null Bock hatte, für irgendetwas eine Verantwortung zu übernehmen, schloss wieder die Augen. Hätte es nicht mehr Probleme verursacht als gelöst, dann hätte ich sie einfach am Straßenrand abgeladen.
    Wir waren noch keine Stunde im Land unserer Vorfahren - Pakistan -, da fuchtelte der Taxifahrer schon mit einer Pistole vor unserer Nase herum. Er und sein Begleiter, ein etwa vierzehnjähriger Junge, der sich zum Schutz vor der Kälte in eine schmuddelige Decke gewickelt hatte, waren bis dahin freundlich gewesen, und als wir bei scheibenklirrend lauter Bollywood-Musik vom Flughafen zu Papa aufgebrochen waren, hatten sie gesagt: »Kassette gut? Gut Sitz, bequem, he? Ein bisschen Paan? Ihr

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