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Das sag ich dir

Das sag ich dir

Titel: Das sag ich dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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oder mein Blick flackerte.
    »Was machst du hier?«, fragte sie.
    »Ich will mich ein bisschen zu dir setzen«, sagte ich. »Was läuft im Fernsehen? Soll ich dir eine Tasse Tee bringen?«
    Auch wenn ich unnatürlich klang, würde Mum nie auf die Idee kommen, dass ich kurz vor meiner Ankunft den Vater meiner Freundin niedergeschlagen hatte. Dass meine Paranoia trotzdem rasant wuchs, war allerdings keine Überraschung. Mein Körper erinnerte mich immer wieder daran, dass etwas nicht stimmte, und als ich Mum den Tee brachte, hielt ich Tasse, Untertasse und Löffel mit beiden Händen, weil ich Angst hatte, sie könnten klappern.
    Das Messer blieb natürlich bei Mum. Sie besaß es noch Jahre später. Vielleicht hat sie es immer noch.
    An diesem Abend betastete ich die Uhr in meiner Tasche jedes Mal, wenn Werbung lief. Später versteckte ich sie in meinem Schlafzimmer. Nach ein paar Monaten holte ich sie regelmäßig heraus, betrachtete sie und dachte über die Ereignisse nach. Ich begann sogar, sie im Haus zu tragen, und sagte Mum, ich würde sie schick finden und hätte sie gegen ein paar Platten eingetauscht. Ich trug sie auch mehrmals außer Haus. Ich tauschte das Armband aus. Ich nahm sie mit in meine neuen Studentenbuden und hasste und brauchte sie zugleich.
    Am Morgen nach dem Überfall wusste ich nicht, was ich tun sollte. Ich war seit fünf Uhr früh durch das Haus geirrt. Um neun Uhr ging ich in den Garten. Schließlich beschloss ich, zum College zu fahren. Vielleicht war Valentin dort.
    Ich wollte gerade los, da klingelte das Telefon. Ich rannte wieder hinein, um abzunehmen.
    »Dad ist tot«, sagte Ajita. »Ich bin im Krankenhaus.«
    »Wer hat ihn ermordet?«, fragte ich.
    »Die Streikenden. Sie sind ins Haus eingedrungen, während wir fort waren, und haben ihn zu Tode erschreckt. Sein Herz war schon schwach - er hatte sich gerade untersuchen lassen.«
    Ein kurzes Schweigen trat ein. Wahrscheinlich erwartete ich, dass sie irgendwie freudig oder erleichtert klang. Hatte ich ihr denn keinen Gefallen getan?
    »Als Mustaq und ich ihn gefunden haben«, sagte sie, »hat er gar nicht so friedlich ausgesehen, wie es bei Toten angeblich der Fall ist. Sondern verängstigt, verrenkt und panisch, mit Wunden am Kopf und blutender Nase. Wie kann man einem Mann nur so etwas antun?«
    »O mein Gott«, sagte ich.
    »Ich muss gleich heulen.« Sie schluchzte schon. »Das wird schrecklich, das willst du bestimmt nicht hören«, sagte sie und legte auf.
    Ich rief in der Pension an und berichtete Wolf und Valentin, dass der Mann tot sei. Mehr sagte ich nicht, weil ich am Telefon nichts weiter verraten wollte. Ich wollte mich später wieder bei ihnen melden.
    Als Ajita am Abend des gleichen Tages noch einmal anrief, erzählte sie mir, ihr Vater sei von Leuten der Gewerkschaft ermordet worden, die seine Adresse herausgefunden und ihn überfallen hätten. Laut ihren Worten hatte man bereits zwei Leute verhaftet. Sie bezeichnete sie als Rassisten. »Wer würde schon so etwas tun?«
    »Einbrecher?«
    »Aber man hat nichts gestohlen. Seine Brieftasche lag zwar auf dem Fußboden, aber es war noch alles da.«
    Ob man Wolf und Valentin verhaftet hatte, konnte ich nicht in Erfahrung bringen. Ich rief mehrmals bei ihnen an, doch entweder ging niemand ans Telefon, oder die Vermieterin sagte, sie seien unterwegs. Als ich noch einmal anrief, teilte sie mir mit, dass die beiden ausgezogen seien. »Gut, dass ich sie los bin. Sie bezahlen die Miete nicht.«
    Am gleichen Abend rief mich Wolf aus einer Telefonzelle an »der Küste« an. Es war ein R-Gespräch, und er erzählte mir im typischen Flüsterton, dass sie ihre Sachen gepackt und die Pension verlassen hätten, um mit dem alten Porsche, den sie vom Erlös des Diebstahls gekauft hatten, nach Südfrankreich zu fahren. Er halte es für angebracht, sagte Wolf, eine Weile abzutauchen. Sie hatten nur auf eine Ausrede gewartet, um verschwinden zu können.
    Beruflich waren sie nicht besonders erfolgreich gewesen. Also machten sie sich aus dem Staub, ohne verfolgt zu werden - außer von ihrem Gewissen, vielleicht jedenfalls. Von meinem Standpunkt aus gesehen verschwanden sie allerdings für immer.
    »Ich kann einfach nicht glauben, dass mein Papa nicht mehr wiederkommt«, erzählte Ajita mir am nächsten Tag.
    »Immerhin kannst du jetzt ruhig schlafen.«
    »Wie meinst du das?«
    »Du weißt, wie ich das meine.«
    »Aber ich tue kein Auge zu! Die Rassisten machen jetzt Jagd auf uns, Jamal. Wir schweben

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