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Das sag ich dir

Das sag ich dir

Titel: Das sag ich dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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rasierte. Papa arbeitete angeblich an einem Artikel über Familien mit dem Titel: »Auch der Schwiegersohn bekommt seine Chance«. Er plagte sich damit herum, denn nachdem er den Text ganz offen zu Papier gebracht hatte, musste er den Inhalt in eine Art poetischen Code übertragen, damit ihn die Leser, nicht aber die Behörden verstanden.
    Dads wöchentliche Kolumne beschäftigte sich mit diversen Themen, die alle latent politisch waren. Warum waren die Hauptstraßen Karatschis nicht von mehr Blumen gesäumt? Denn je mehr Farbe es geben würde - und Farbe stand für Demokratie -, umso lebendiger wäre doch alles, oder? Sein Essay darüber, dass die Leute prägnantere Persönlichkeiten wären, wenn sie sich nicht so oft waschen würden also dreckiger wären und ehrlicher ihre Meinung sagten spielte auf den Wassermangel an. Ein Essay, in dem es vordergründig um die subtile Schönheit des Dunkels und die samtenen Vorhänge der Nacht ging, handelte in Wahrheit von den täglichen Stromausfällen. Er bat mich, seine Texte kritisch zu lesen, und ich schrieb sogar ein paar Absätze - meine ersten Veröffentlichungen.
    Wenn er mittags mit der Arbeit fertig war, drehten wir die Runde in der Stadt, besuchten Dads Freunde - meist alte Männer, die die ganze Geschichte Pakistans miterlebt hatten - und landeten schließlich in seinem Club.
    Abends gingen wir auf Partys, wo die Männer Krawatte und Sakko und die Frauen Schmuck und hübsche Sandalen trugen. Die Manieren waren gut, es wurde schwer getrunken, und in den Gesprächen betrieb man Selbstdarstellung und gab mit der Gunst an, die man genoss, mit seinem Status und dem materiellen Besitz: Autos, Häuser, Kleidung.
    Anders als Miriam erwartet hatte, war Karatschi überhaupt nicht spirituell, sondern so materialistisch wie kaum ein anderer Ort, den wir kannten. Der Ansporn dazu war die Entbehrung. Ich hätte die Freunde meines Vaters also durchaus für vulgär und oberflächlich halten können, aber ich war es, dem man das Gefühl gab, klein und schäbig zu sein. Diese provinziellen Großbürger behandelten mich wie jemanden, der seine gute Chance in England verpatzt hatte, und machten sich milde über mich lustig, während mich mein Vater im Auge behielt, um zu sehen, wie ich mich schlug. Als welche Art Mann - halb von hier, halb von dort - hatte ich mich entpuppt? Hier war ich ein ebenso schräger Vogel wie damals in der Schule.
    Trotzdem brachte er mir etwas bei, erzählte von Pakistan und redete die ganze Zeit über Teilung, Islam, Liberalismus und Kolonialismus. Ich mochte ein verzogener, englischer Junge mit trotzkistischen Bekannten und einer Vorliebe für The Jam sein, aber allmählich begriff ich, wie sehr Dad seine liberalen Freunde brauchte, die Reagan und Thatcher guthießen. Diese waren mir ein Greuel, doch in Pakistan, das immer stärker islamisiert wurde, standen sie für die Freiheit. Dads Freunde fühlten sich schon jetzt genauso fremd wie er in diesem jungen Staat, und er war der Meinung, dass mit wachsender Theokratie alles noch schlimmer werden würde. Wie Dad sagte: »Ein paar ehrliche Männer gibt es hier noch. Gut möglich, dass ich der einzige bin! Wen wundert es da, dass manche Leute eine Republik der Tugend errichten wollen.«
    Viele Freunde meines Vaters wollten mir einreden, dass ich, als ein Vertreter der »aufstrebenden« nächsten Generation, alles tun müsse, um die Freiheit in Pakistan zu bewahren. »Wir gehen hier ein. Du musst uns helfen, bitte.« Nach dem Abzug der Briten war ein Vakuum entstanden, und nun ergriffen die Barbaren die Macht. Man schaue sich an, was im Iran passiert sei: Die »geistige« Politik der Revolution sei schließlich zu einer bösartigen, angeblich von Gott gewollten Diktatur mit permanenten Amputationen, Steinigungen und Hinrichtungen geworden. Wenn das dortige Volk einen so mächtigen Mann wie den Schah vom Thron hatte stoßen können, was würde dann in anderen muslimischen Staaten passieren?
    Ich stellte fest, dass mein Vater ein beeindruckender Mann war, wortgewandt und amüsant, und dass man ihn für seine Artikel bewunderte. Er wäre fast im Gefängnis gelandet und war nur durch »Vitamin B« davor bewahrt worden. Er war immer widerspenstig gewesen, aber nie dumm. Ich las seine Texte, die schließlich in einem nur in Pakistan erhältlichen Buch zusammengefasst wurden. In einem so korrupten Staat stand er für Unabhängigkeit, Autorität und Integrität.
    Da er so viel Lebenserfahrung zu besitzen schien, dauerte

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