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Das sag ich dir

Das sag ich dir

Titel: Das sag ich dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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beantworten? Was ist los, wenn man das Gefühl hat, dass die Gespräche, die man führt, eigentlich die falschen Gespräche mit den falschen Leuten sind?«
    Während ich mein Adressbuch durchblätterte und nach Stift und Papier kramte, merkte ich, dass sie ihre Beine auf die Couch gewuchtet und sich hingelegt hatte.
    »Lisa.«
    »Aber ich muss dir erzählen, was passiert ist.« »Passiert? Was und wann?«
    »Nachdem ich mich mit Henry am Telefon zum Mittagessen in einem Restaurant in der Nähe der Riverside Studios verabredet habe. Sie war schon da, als ich ankam.«
    »Wer?«
    »Na, deine geliebte Schwester. Zwar uneingeladen, aber was soll's. Sie fängt sofort an zu quasseln. Über den Steinbock, der gerade aufsteigt oder absteigt, was weiß ich. Über ihre Begegnungen mit Zauberern. Bauchtanz-Unterricht. Posh Spiee als Goldfisch. Botox und wie man es billig bekommt. >Big Brother<. Ununterbrochen. Die wandelnde Regenbogenpresse. Und er lauscht andächtig jedem Wort. Ich dachte: Weiß er überhaupt, was >Big Brother< ist? Sie nimmt es für ihn auf. Echt süß! Und weißt du, was er dann macht?«
    »Nein. Was?«
    »Er zeigt mir seine Karten für die Rolling Stones.« »Hat er mir auch eine besorgt?«
    »Was tut Dad da? Ist das eine Regression in die Pubertät? Sie hat ihn mir geraubt. Er hat meine Kindheit versäumt, weil er lieber mit interessanteren Leuten zusammen war. Aber in den letzten zwei Jahren sind wir einmal die Woche mittags zusammen essen gegangen. Jetzt trifft er sich nicht mehr mit mir, er braucht meinen Rat nicht mehr. Und
    wenn ich mich endlich mit ihm verabrede, sitzt diese Frau da! Ja, natürlich, er entschuldigt sich; er kapiert, was ich meine. Er will sich gern mit mir treffen. Aber dann redet er wieder nur von ihr, von der Arthrose in ihren Fingergelenken, ihren Schmerzen. Und er sagt so schreckliche Sachen wie: >Aber Miriam hat mich von meiner grauenhaften bürgerlichen Sozialisation befreit. Fast alles, woran ich geglaubt habe, war dumm, falsch, sinnlos!<« »Für dich gibt es also keinen Platz mehr?«
    »Ich habe ihm gesagt, dass ich etwas unternehmen werde, wenn er diese Sache nicht klärt!«
    »Hier«, sagte ich, als sie sich zum Aufbruch bereit machte. »Nimm diese Nummer. Der Therapeut ist ein Freund, und er kann gut schreiben.«
    Sie betrachtete den Zettel, faltete ihn zusammen und steckte ihn ein. »Du hast erstaunlich viel Vertrauen zu diesen Leuten.«
    »Die frühen Analytiker haben sehr genau über die Struktur des menschlichen Geistes nachgedacht«, erwiderte ich. »Sie haben überlegt, was es heißt, ein Kind zu sein, eine Sexualität zu haben, mit anderen Menschen zusammen zu sein - als geschlechtliches Tier in einer Gesellschaft oder Zivilisation zu leben - und am Ende zu sterben. Sie wussten, dass jede vergangene Stunde, wie Proust es ausdrückt, dem Körper eingeschrieben ist - ja, der Körper besteht sogar aus diesen Stunden. Etwas Wichtigeres oder Faszinierenderes kann es doch nicht geben, oder?«
    Ich zog die Biographien von Melanie Klein und Anna Freud aus dem Regal und gab sie ihr. »Das sind großartige Frauen - Pioniere. Radikale Intellektuelle.«
    »Danke«, sagte sie. »Ist lange her, dass mir jemand den Weg gewiesen hat. Meine Eltern haben immer nur erwartet, dass ich erfolgreich bin.« Sie fuhr fort: »Bevor unsere >Klienten< zu mir kommen, gehen sie zum Arzt, und der gibt ihnen ein Medikament, das sie dann möglicherweise jahrelang nehmen müssen.«
    »Wenn sich jemand von seiner Freundin trennt, verschreibt man ihm irgendein pharmakologisches Gebräu, als wäre der Schmerz etwas Unnatürliches.«
    »Ärzte haben keine Zeit, sich eine Geschichte anzuhören«, erwiderte sie. »Sie kümmern sich im Zehn-Minuten-Takt um ihre Patienten. Also höre ich genau zu, denn ich bin ja den ganzen Vormittag da. Doch am Ende komme ich in die Bredouille, weil ich zu langsam bin.«
    »Freuds Revolution bestand darin, dass er die Menschen nicht mit Drogen vollgepumpt, hypnotisiert oder beraten hat, weil sie das wieder zu Kleinkindern gemacht hätte«, sagte ich. »Er hat zugehört und ihre Geschichten notiert.«
    Bei meiner nächsten Begegnung mit Henry erzählte ich ihm, dass Lisa mich aufgesucht hatte.
    »Du musst mir wirklich glauben, dass ich mich gern mit Lisa treffe«, sagte er beunruhigt. »Sie bezeichnet mich als >Hurenbock auf dem Holzweg<. Bin ich ein Idiot, weil ich möchte, dass sich alle gut verstehen? Natürlich weiß ich, dass ich dabei die grundlegende menschliche

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