Das Sakrament
Amparo ihm das nicht abschlagen konnte. Sie erhob sich gleichfalls. Sie streifte die Decke von der Schulter und reichte sie ihm. Er nahm sie ihr ab, als hielte er sie nun für zu schäbig und ekelhaft, als daß er sie einer offensichtlich so großartigen Dame hätte anbieten dürfen. Er knüllte sie zusammen und warf sie auf die Holzstapel. Er bemerkte den ledernen Köcher, den sie um den Hals trug.
»Was ist das?« fragte er.
Amparo klemmte sich den Köcher unter den Arm. »Es ist eine Rarität.« Er schürzte die Lippen, als ihm klarwurde, daß sie ihm mehr nicht verraten würde. Sie sagte: »Nenn mir deinen Namen.«
»Orlandu«, antwortete er. »Wenn ich in die weite Welt aufbreche und ein feiner Mann werde und ein Ehrenmann, dann werde ich Orlandu di Birgu sein.«
»Warum lebst du hier am Hafen?«
»Hier bin ich frei.«
»Wo ist deine Familie?«
»Meine Familie?« Orlandu verzog die Lippen. Er machte eine kurze Axtbewegung mit der Handkante. »Ich habe sie abgeschnitten«, sagte er. »Sie sind keine guten Menschen.«
Amparo hätte weitergefragt, doch seine Miene verriet ihr, daß er keine Antwort mehr geben würde und daß ihm dieses Thema Schmerzen bereitete.
»Und Euer Name?« erkundigte er sich.
»Amparo.«
Er lächelte. »Sehr fein, spanisch also. Seid Ihr eine Edelfrau wie die schöne Dame?«
Sie schüttelte den Kopf und überlegte, ob er sie begehrte. Nein, er wollte erst noch ein Mann werden, wollte das so verzweifelt, daß es sogar sie schmerzte, aber er war noch zu sehr Junge, um echte Begierde zu kennen. Es durchzuckte sie der Gedanke, ob er Carlas Sohn sein könnte.
Sie sagte: »Du sollst Tannhäuser kennenlernen, wenn er zurückkehrt. Ich werde ihm sagen, daß du ein ritterlicher Mann bist, der mich vor den Tercios beschützt hat, und daß du gerne einmal seine Hand schütteln möchtest. Hättest du das gerne?«
»Oh, wahrhaftig«, erwiderte Orlandu. »Wahrhaftig ja.« Er fuhr sich durch die Haare, als bereitete er sich bereits auf diesen Anlaß vor. »Wann?«
»Ich rede morgen mit ihm.«
Orlandu packte ihre Hand und küßte sie. Das hatte noch nie jemand gemacht.
»Jetzt kommt«, sagte er. »Laßt mich Euch nach Hause begleiten, ehe der Mond untergeht.«
Amparo hoffte, daß er der Junge war, den Carla suchte. Sie mochte seinen Mut. Wenn er nicht der Junge war, konnte man vielleicht so tun, als sei er es.
F REITAG , 8. J UNI 1565
In der Herberge von England – In den Außenbezirken – Im Kastell St. Angelo
Allahu akbar! Gott ist der Größte! Allahu akbar!
Ich bezeuge, daß es keinen Gott gibt außer Allah.
Ich bezeuge, daß Mohammed der Gesandte Allahs ist.
Kommt zum Gebet!
Kommt zum Gebet!
Kommt zum Gebet!
Kommt zur allerbesten Handlung!
Allahu akbar!
Es gibt keinen Gott außer Allah.
Tannhäuser erwachte im Morgengrauen zum poetischen Morgenruf des Muezzin . Siebzehn Tage lang schwebte nun schon jedenMorgen der Adhan -Ruf von den Höhen des Corradino und durch die Fenster der Herberge. Nach so vielen Jahren unter den Franken erfüllte ihn diese Musik immer noch mit Ehrfurcht, mit Schrecken, mit Stolz, mit der Bereitschaft zum Kampf und mit einer vagen Angst, deren Gründe er nicht ausmachen konnte. Es störte nichts, daß die Wörter verschwommen klangen. Die Al-Fatiha , die erste Sure des Korans, war ihm in die Reste dessen, was noch als seine Seele durchgehen mochte, eingegraben und würde niemals ausgelöscht werden.
Führe uns auf den rechten Weg
Den Weg derer, die Du gesegnet hast
Nicht derer, die Deinen Zorn erregt haben
Noch der Irregegangenen.
In seinem Herzen war eine Leere, die so groß und weit war wie das Universum ringsum, und dort fand er weder Segen noch einen recht scheinenden Weg, noch eine Führung zu einem rechten Weg. Selbst seiner eigenen Meinung nach war er so weit in die Irre gegangen, wie ein Mann nur gehen konnte, ohne am Galgen zu landen. Amparos Arm regte sich auf seiner Brust. Ihre Finger begannen, von einem zärtlichen Traum getrieben, seinen Nacken zu streicheln, und sie seufzte. Tannhäuser atmete ihren Duft ein und mit ihm die Hoffnung auf einen strahlenden neuen Tag.
Blaßgelbes Morgenlicht drang durch die tiefen, glaslosen Fenster herein und zauberte einen rosigen Schein auf ihre Haut. Amparo lag zusammengerollt neben ihm. Das zurückgeworfene Laken war um einen ihrer Schenkel geschlungen. Ihr Kopf ruhte an seiner Schulter. Ihr Haar bedeckte schwarz ihre Wange. Die umschatteten Lippen leuchteten granatrot und waren leicht
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