Das Sakrament
gesamten Unterhaltung waren die Frauen kaum mehr als Schatten an der Wand, und während Amparo es zufrieden zu sein schien, die Wärme und gesellige Runde zu genießen, überkam Carla eine große Müdigkeit. Sie konnte dieses Lob des Kampfes nicht in Einklang bringen mit dem Leid, das sie auf engstem Raum im Krankensaal des Heiligen Hospitals erlebt hatte. Mattias kehrte nicht zurück, niemand wußte, wann er kommen würde. Carla entschuldigte sich, wurde mit einem Chor von Segenswünschen und Dankesworten verabschiedet und zog sich zurück, um sofort tief einzuschlafen.
Sie wachte auf, als eine Hand sie an der Schulter berührte. Amparo stand neben ihrem Bett, eine Kerze in der Hand. Das Mädchen war in ein Handtuch gehüllt und konnte ihre Aufregung kaum zügeln.
»Carla«, sagte Amparo. »Es ist Orlandu! Es ist doch Orlandu!«
Carla schwang die Beine über den Rand der Matratze und stand auf. Ihr Herz eilte ihrem Verstand voraus, pochte ihr im Hals. Sie packte Amparos Hand. »Orlandu?«
»Tannhäuser sagt, daß Orlandu dein Sohn ist.«
Carla spürte, wie ihr ein verzweifeltes Zittern den Brustkorb einschnürte. Sie atmete tief ein. Orlandu war ihr Sohn.
Tränen ließen ihren Blick verschwimmen. »Orlandu ist mein Sohn.«
»Ist das nicht wunderbar?« fragte Amparo.
Carla eilte an ihr vorbei und nahm ihren Umhang vom Haken. Dann hängte sie ihn wieder auf. Sie konnte Orlandu nicht im Nachthemd begrüßen. Sie nahm ihr einfaches schwarzes Kleid, das über den Tisch gebreitet lag. Mein Haar, dachte sie. Es war noch ganz wirr vom Schlaf.
Sie holte noch einmal tief Luft. »Sag Orlandu, daß ich in wenigen Augenblicken unten bin.«
Carla zog sich das Nachthemd über den Kopf und legte es aufs Bett.
Amparo antwortete: »Orlandu ist nicht mehr da.«
Carla schwankte in einer schrecklichen Vorahnung. Sie schloß die Augen, schlug sie wieder auf und blickte Amparo an.
»Wo ist er?« fragte sie, mit aller Ruhe, die sie aufbringen konnte.
»Ich weiß nicht. Tannhäuser und Bors sind losgezogen, um ihn zu suchen, am Kai.«
Carla zog ihr Nachthemd wieder über. Der Umhang würde ausreichen müssen, und zum Teufel mit ihrem Haar. »Am Kai von Kalkara?« Sie nahm den Umhang vom Haken und suchte auf dem Boden nach ihren Stiefeln.
»Nein«, erwiderte Amparo. »Am Kai von St. Angelo.«
Carla hielt inne, den Umhang erst halb über die Schulter gebreitet.
Ihr Tag im Hospital hatte es ihr nur zu deutlich gemacht, daß der Kai von St. Angelo der Ort war, wo die Schiffe zum Kampf in der Festung St. Elmo ablegten.
Ein Schrei entfuhr ihr.
Carla rannte barfuß die Treppe hinunter und auf die Majistral-Straße.
S AMSTAG , 9. J UNI 1565
In Zonra – In Marsaxlokk – In der Herberge von England – Am Kai
Ein langer, aber ein guter Tag, überlegte Tannhäuser, als er sich hundemüde durch Birgu zur Herberge von England schleppte. Er hatte soeben Starkey Bericht erstattet, wo man seine verschiedenen Großtaten mit der entsprechenden Bewunderung zur Kenntnis genommen hatte und wo er das Oberkommando der christlichen Seite nach vierundzwanzig Stunden Krise in der Festung St. Elmo in hellem Aufruhr vorgefunden hatte.
Nach siebzehn Tagen verzweifelter Gewalt hatten sich die Türken im Festungsgraben verschanzt, hatten das Ravelin-Außenwerk vor dem Haupttor erobert und hatten Leitern und Brücken zu einer gewaltigen Bresche gebaut, die in der südwestlichen Mauer klaffte. Diese Notlage hatte zu einer Meuterei unter den jüngeren Rittern geführt, die beschlossen hatten, einen Ausfall zu wagen und wie Männer zu sterben, anstatt wie eingesperrte Schafe in einer nicht zu haltenden Festung zu warten. La Valette hatte mit charakteristischem Genie den Rebellen die Botschaft übermittelt, »sie sollten in die Sicherheit von Birgu fliehen«. Nachdem sie sich so beinahe der Feigheit bezichtigt sahen, trotz der übermenschlichen Tapferkeit, die sie immer und immer wieder unter Beweis gestellt hatten, baten die betrübten Ritter den Großmeister, sie nicht von ihren Pflichten zu entbinden, und schworen ihm absoluten Gehorsam.
Als Tannhäuser St. Angelo verlassen hatte, brach gerade ein Verstärkungstrupp von fünfzehn Rittern und neunzig maltesischen Freischärlern vom Kai aus über das Wasser auf. Wenn sie unbedingt wollen, dachte Tannhäuser für sich. Mit einem Quentchen Glück würde er morgen um diese Zeit seinen eigenen schamlosen Rückzug antreten – über das weite blaue Meer zur Küste von Kalabrien.
Nachdem er am Morgen die
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