Das Sakrament
sein. »Keiner kennt einen solchen Jungen.«
»Wie alt bist du, Orlandu?«
Er rang nach Worten. »Siebzehn.« Er bemerkte ihren ungläubigen Gesichtsausdruck. »Fünfzehn! Ja, das glaube ich. Bald.« Er schüttelte das Schwert. »Alt genug, um gegen die Türken zu kämpfen, wenn sie mich lassen. Ich habe Hunde umgebracht, und die Moslems sind nichts anderes.«
»Wann ist dein Geburtstag?« fragte Carla.
Orlandu wirkte ein wenig zögerlich. Er zuckte die Achseln. »Geburtstage sind etwas für Kinder. Reiche Kinder.«
»Ich habe auch keinen Geburtstag«, warf Amparo ein.
»Ist das wahr?« fragte Orlandu.
Amparo nickte, und Orlandus Selbstwert war wiederhergestellt.
»Ich bin im Frühling geboren«, sagte Amparo.
»Und ich im Herbst«, meinte Orlandu. »Soviel weiß ich.«
Er schaute Carla an und mußte wohl den Tumult in ihrem Herzen gespürt haben, denn er fuhr ein wenig zurück, lächelte und schüttelte den Kopf. »Ich? Euer Junge?« fragte er. Er schüttelte erneut den Kopf. »Ich wäre es gern, ja, aber ich glaube es nicht.«
»Warum nicht?«
Er zuckte die Schultern und bestätigte das Vorurteil, das sie nicht gewagt hatte sich selbst einzugestehen. »Ihr seid zu vornehm«, erwiderte er. »Schaut mich an! Glaubt Ihr wirklich, daß ich der Junge bin, den Ihr sucht?«
Tomaso trat von einem Bein aufs andere, und Carla schämte sich, weil sie ihn so lange auf der Straße stehend festgehalten hatte. Sie gab Orlandu keine Antwort, sondern schaute Amparo an.
»Warum lädst du deine Freunde nicht ein, mitzukommen und mit uns zu essen?«
Orlandu traten fast die Augen aus dem Kopf. Amparo nickte ihm zu.
»Ja«, sagte Amparo. »Kommt und eßt mit uns in der Herberge.«
Orlandu sprach in raschen Worten mit Tomaso, der schüchtern und zögernd mit den Füßen scharrte. Orlandu, der nicht sonderlich viel Mitleid mit seinem verletzten Freund zu haben schien, packte ihn beim gesunden Arm und lächelte Carla an. »Vielen Dank, meine Dame. Wir kommen.«
In der Herberge von England bereitete Nicodemus Fladenbrot und Lamm zu, und Orlandus Erregung war grenzenlos, als er erfuhr, daß irgendwann am Abend auch Hauptmann Tannhäuser erwartet wurde. Inzwischen fehlte es ihm indes nicht an Aufregungen: Bors kam von den Batterien von St. Angelo zurück, das Gesicht vom Pulverrauch geschwärzt, eine Zwei-Galonen-Korbflasche auf der Schulter, und war ein mehr als zufriedenstellender Gegenstand für die blinde Anbetung des Jungen. Orlandu saß mit dem barbarischen Engländer und Tomaso, dem Helden von St. Elmo, am Küchentisch und übersetzte zwischen ihnen hin und her.
Während sie aßen und tranken, sprachen sie von der bitteren und mörderischen Belagerung auf der anderen Seite der Bucht, von der ungeheuren Tapferkeit der Verteidiger und dem selbstmörderischen Mut der Janitscharen, von dem Wunder, daß die Festung bereits siebzehn Tage gehalten wurde. Selbst die hartgesottenen Ritter von St. Elmo, erzählte Tomaso – Le Mas, Luigi Broglia, Juan de Guaras –, glaubten nicht, daß sie noch mehr als drei oder vier Sonnenuntergänge überleben würden. Kein Mann dort erwartete, am Leben zu bleiben, außer vielleicht die maltesischen Schwimmer, die man angewiesen hatte, beim Fall der Bastion einen Tag lang im Wasser weiterzukämpfen. Manchmal glänzten Orlandus Augen vor Tränen, und Carla fragte sich, ob Tapferkeit die Herzen der Männer mit einer Macht bewegte, die nichts anderes zu erwecken vermochte.
Als Nachtisch reichte Nicodemus geröstetes Brot mit Marzipan und Zucker und wurde allerseits als genialer Koch gepriesen. Dann wandte sich das Gespräch dem weiteren Verlauf des Feldzuges zu. Im Kerzenschein wurden Karten auf die Tischplatte gezeichnet, mit Fingern und Messerspitzen in verschüttetem Wein. Man stritt über Strategien und über die Listen von Torghoud, darüber daß Bors geschworen hatte, den Korsaren von der Brüstung aus zu töten, von der Wut Mustafa Paschas und seiner Schlacht gegen den brillanten La Valette. Bors erzählte von seinen Abenteuern in anderen Kriegen mit Karl V. und von Tannhäusers Heldentaten unter den Roßschweif-Bannern Suleimans. Bei jeder Geschichte weiteten sich Orlandus Augen mehr und leuchteten vor kriegerischer Unternehmungslust. Obwohl sie nicht sprach, wurde Carla traurig, denn genauso fanden die Mythen vom Krieg Nahrung und wurden in neue Seelen gepflanzt, selbst von solchen Menschen, die wissen müßten, daß Kriege für Grausamkeit und Wahnsinn standen.
Während der
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