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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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abgetrennt, auf seinem Felsen da. Die Brücke über den Kanal führte zum Fuß des Berges und zu dem geschwungenen Kai, von dem aus die Boote nach St. Elmo ausliefen. Auf der Brücke herrschte ein verzweifeltes und blutiges Menschengewimmel. Tannhäuser bahnte sich seinen Weg am Generalprofoß vorbei, schob sich mit der notwendigen Rücksichtslosigkeit durch die Menge. Auf den nackten Steinen des Kais lagen die Leichen von Menschen, die während der Überfahrt gestorben waren. Neben ihnen lagerten weitere Kämpfer, die aussahen, als könnten sie es kaum noch über die Brücke schaffen. Blut klebte an Tannhäusers Stiefeln, als er über die Toten und Sterbenden hinwegstieg. Zwei Kapläne machten die Runde unter den Todgeweihten und salbten ihre Stirnen.
    »Durch diese heilige Salbung und seine mildreichste Barmherzigkeit lasse dir der Herr nach, was immer du gesündigt hast. Amen.«
    Die Evakuierten brachten den Geruch der Belagerung mit sich über den Hafen. La Valette legte großen Wert darauf, persönlich die neuen Freiwilligen zu verabschieden. Es war kein gutes Omen, daß Tannhäuser ihn nirgends sehen konnte. Sie drängten sich weiter vorwärts. Ein gefangengenommener türkischer Offizier, blutüberströmt, halbnackt und in Ketten, wurde an ihnen vorübergetrieben, und Tannhäuser hörte einen Fetzen seiner gemurmelten Gebete:
    »… haltet euch allesamt fest am Seile Allahs …«
    »Den Burschen erwartet ein böser Schrecken«, bemerkte Bors.
    Tannhäuser drängte sich weiter und hörte kaum zu. Bors ließ sich nicht beirren.
    »In den Verliesen von St. Antonius haben die Folterer einen riesigen Mohren zur Hand – behandeln ihn wie einen König, mit Essen, Wein faßweise. Wenn sie einem frisch eingetroffenen Türken die Zunge lösen wollen, ziehen sie ihm alle Kleider aus und befehlenihm, sich über ein großes Faß zu beugen, und lassen es den Mohren mit ihm treiben, während sie dabeistehen und ihn anfeuern und ihn daran erinnern, daß der alte Mohammed sein Vergnügen in der gleichen Art gefunden hat.« Bors lachte vor sich hin. »Die Wirkung, sagen sie, ist wundersam.«
    Tannhäuser kommentierte diese Erzählung nicht und schaute sich um. Das Wasser im Großhafen schimmerte silbern, die Oberfläche glänzte im Kielwasser von zwei Pinassen, die sich entfernten. In jedem Boot saßen zwanzig Männer mit allen möglichen Vorräten. An einem Tisch mit einer Lampe hockte ein Feldwebel des Ordens mit einem Hauptbuch und einem Quartiermeister, über dessen Dokumente sich soeben ein Tintenfaß ergossen hatte. Wenig brüderliche Worte flogen hin und her. Tannhäuser erkannte den Feldwebel, einen Lombarden namens Grimaldi, und pochte auf den Tisch, um seine Aufmerksamkeit zu erregen.
    »Pater Grimaldi, ich muß wissen, ob ein bestimmter Mann mit den Freiwilligen aufgebrochen ist.«
    »Heute abend?« fragte Grimaldi.
    »Heute abend. Der Name ist Orlandu Boccanera.«
    Der Quartiermeister war über diese Unterbrechung nicht sonderlich erfreut. »Ihr habt hier keine Befehlsgewalt. Ich habe Arbeit zu erledigen.«
    »Arbeit?« Tannhäuser lehnte sich auf den Tisch und blickte zu dem Mann hinunter. »Heute morgen habe ich den Überfall vom Galgenpunkt angeführt. Sagt mir, Bruder Buchführer, wie viele Türken habt Ihr heute getötet?«
    Der Quartiermeister erhob sich, und seine Hand fuhr zum Knauf seines Schwertes. Obwohl Tannhäuser gebeugt dastand, mußte der Mann noch zu ihm aufblicken.
    »Wer seid Ihr, Sir?«
    »Ich gebe Euch den guten Rat, lieber weiterhin Tinte zu verschütten, mein Freund«, warf Bors ein, »und das Blutvergießen uns zu überlassen.«
    »Setzt Euch«, sagte Grimaldi. »Das ist einer von Starkeys Leuten.«
    Der Quartiermeister ging fort und murmelte ein Vaterunser, um seine Wut zu besänftigen. Grimaldi blätterte die Musterrolle durch. Sein Finger blieb bei einer Eintragung am Ende der Namensliste stehen.
    »Kein Boccanera hier, doch hier haben wir einen Orlandu di Birgu«, sagte Grimaldi. »Der Kerl war so kühn wie sein Name.« Er deutete mit dem Kinn auf den Hafen. »Er ist in dem letzten Boot da draußen.«
    Tannhäuser richtete sich auf, wandte sich um und spähte über das Wasser. Weit draußen in der Nacht, außerhalb jeder Rufweite, kräuselten die Ruder der hintersten Pinasse die silbrige Wasseroberfläche. Nur wegen einer Phantasie über den Pfefferhandel, wegen einer Tasse Kaffee zuviel, wegen eines schnellen Bads war nun der Eckstein seines Plans zerborsten. Orlandu war unterwegs zu

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